
Doppelt bestraft
In Österreich sitzt die Mehrheit der weiblichen Strafgefangenen in Gefängnissen, die
vorwiegend auf Männer ausgerichtet sind. Wie ist es, als Frau in Haft zu sein? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Milena Österreicher, Illustration: Diana Bobb
Justizanstalt Schwarzau: Österreichs einziges Frauengefängnis. Doch der Großteil der
Gefängnisinsassinnen lebt in Haftanstalten, die auf Männer ausgerichtet sind.
„Zeitweise vergesse ich, dass ich die Tür aufmachen, und einfach rausgehen kann“, erzählt Ilse B.* Knappe sechs Jahre lang konnte sie das nicht. Wegen schweren gewerbsmäßigen Diebstahls war sie in Haft. Zuerst ein halbes Jahr, dann 18 Monate, zum Schluss fast vier Jahre. „Der Richter sagte nach dem zweiten Mal: Sie haben nichts dazugelernt.“
Dreißig Jahre war B. verheiratet, das Paar lebte sich auseinander. B. lernte einen neuen Mann kennen, dieser hatte Schulden: „Ich habe ihm zunächst alles gegeben, was ich hatte.“ Dann begann die damals 48-Jährige in Kaufhäusern zu stehlen. „Er hat auf den Verkaufserlös gewartet.“ Kosmetik, Kleidung, Kaffeemaschinen, Fernseher. Manchmal im Wert von mehreren hundert oder tausend Euro. „Mittlerweile stehe ich zu meinen Taten“, sagt B.
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Zelle für zehn Frauen: Zehn schmale Spinde, zwei größere
Tische, zehn Sessel, ein Waschbecken und ein Klo.
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Haftleben
2016 kommt B. erstmals ins Gefängnis nach Wien-Josefstadt, Österreichs größte Haftanstalt. Dort teilt sie sich die Zelle zunächst mit neun anderen Frauen: Zehn schmale Spinde, zwei größere Tische, zehn Sessel, ein Waschbecken und ein Klo mit Flügeltür darin. B. leidet an Parkinson, manchmal steht sie um zwei Uhr nachts auf, wenn die Krämpfe sie plagen. „Die anderen haben sich gestört gefühlt, es kam zu Schlägereien und Raufereien“, berichtet B. Später kommt sie in eine Einzelzelle. „Aber erst nachdem ich darum gebettelt habe und eine Psychologin bestätigt hat, dass das besser wäre.“
Bundesweit sind derzeit laut Justizministerium 8.804 Menschen in Haft. 583 davon sind Frauen, also rund sechs Prozent. Freiheitsstrafen bis zu 18 Monate werden in der Regel in Gefangenenhäusern vollzogen. Für Frauen und Jugendliche bestehen eigene Abteilungen. Dennoch kann es zu unangenehmen Szenen kommen. „Wenn Frauen in der Josefstadt Hofgang hatten, hingen die Männer wie Affen an den Gitterfenstern“, erzählt Ilse B. „Es war oft ein großes Schreien, für gewisse Frauen wurde was heruntergeschmissen, zum Beispiel Zigaretten.“ Geschah das, wurde der Hofgang ziemlich schnell beendet. Geht die Freiheitsstrafe über 18 Monate hinaus, kommen Frauen in die Justizanstalt Schwarzau, die einzige Strafvollzugsanstalt Österreichs, die ausschließlich für den Vollzug an Frauen zuständig ist. Aktuell gibt es dort 166 Insassinnen.
Mangelnde Hygiene
Ilse B. war sowohl in den Gefangenenhäusern Wien-Josefstadt und Wiener Neustadt, als auch in der Schwarzau. „Die Hygiene in der Josefstadt war eine Katastrophe“, berichtet B., „es wimmelte nur so vor Ungeziefer und Kakerlaken, überall.“ Die Insass*innen durften zweimal pro Woche für fünf Minuten duschen. „Wenn man länger als fünf Minuten brauchte, wurde einfach das Wasser abgedreht“, sagt B. „Einmal habe ich die Zeit übersehen und hatte das Shampoo noch in den Haaren, aber das war ihnen egal.“ Ähnliches erlebte sie in Wiener Neustadt. Die Leiterin der Justizanstalt Wien-Josefstadt, Krista Schipper, erklärt schriftlich auf Anfrage, dass es sich aufgrund laufender Sanierung der Warmwasserleitungen um eine zeitlich begrenzte Einschränkung handle.
In Österreich ist der Strafvollzug im Strafvollzugsgesetz geregelt. Zweimal wöchentlich duschen zu können, wird dort als Mindestmaß angeführt. Die Volksanwaltschaft führt im Rahmen des Nationalen Präventionsmechanismus (NPM) Besuche in Justizanstalten durch und überprüft die Einhaltung menschenrechtlicher Standards. Im aktuellen Bericht 2022 geht sie in ihren Empfehlungen auch explizit auf die Bedingungen für Frauen ein. So sei sicherzustellen, dass auf das erhöhte Bedürfnis an Hygiene bei Frauen während der Zeit der Menstruation geachtet wird und Insassinnen über zusätzliche Duschmöglichkeiten während der Menstruation informiert werden. Menstruierende Frauen sollten täglich duschen können, ohne eigens darum ersuchen zu müssen. Menstruationsartikel gab es laut Ilse B. für die Insassinnen, die keine Unterstützung „von draußen“, also etwa von Angehörigen, bekamen. Die anderen mussten sich die Artikel selbst kaufen – zu Preisen, die teurer sind als „draußen“ im Geschäft. Anstaltsleiterin Schipper schreibt dazu: „Binden werden jetzt nach individuellem Bedarf kostenfrei ausgegeben, Tampons können individuell zugekauft werden. In Zukunft werden alle Menstruationsartikel kostenfrei und nach individuellem Bedarf zur Verfügung gestellt werden, eine entsprechende Umstellung befindet sich gerade in Abwicklung.“ Auch Klopapier war bei Ilse B. limitiert, acht Rollen, einlagig, pro Monat. „Wenn man keins mehr hatte, musste man es sich nachkaufen“, erzählt die ehemalige Insassin.
Wenn Frauen in der Josefstadt Hofgang hatten, hingen die Männer wie Affen an den Gitterfenstern.
Im Vogelkäfig
Neben der mangelnde Hygiene belastete B. das Nichtstun. „Am Anfang der Haft habe ich begonnen, meine Kleidung zu zerreißen und mich mit den Stofffetzen zu beschäftigen.“, erinnert sich B. Später nähte sie Taschen, Plüschtiere, knüpfte Teppiche für den Weihnachtsmarkt und privat für die Beamt*innen. „So konnte ich mir meine Einzelzelle ‚erarbeiten‘.“ Im Gegensatz zu anderen Insassinnen hatte sie niemanden, der sie von draußen unterstützte. Sie wünscht sich, dass vor allem die Insassinnen ohne Unterstützung eine Arbeits- und somit Verdienstmöglichkeit bekommen.
Für arbeitsfähige Strafgefangene gilt eine Arbeitspflicht. „Aber es waren zu viele Menschen in der Josefstadt. Man hat keine Arbeit bekommen, da konnte man noch so viel darum betteln“, sagt B. Arbeit bedeutet Beschäftigung und Verdienst, wenn auch nur einen geringen. 75 Prozent des Betrags werden als Beitrag zu den Vollzugskosten einbehalten. Vom Rest steht die Hälfte als Hausgeld zur Verfügung, die andere Hälfte wird in einer sogenannten Rücklage für die Zeit nach der Haft angespart.
Arbeitslage
In einem Erlass 2016 legte das Justizministerium „Mindeststandards für den Frauenvollzug in österreichischen Justizanstalten“ fest. Demnach solle jede Insassin eine Ganztagsbeschäftigung haben, sofern es die Auftragslage in den einzelnen Betrieben erlaubt. Der NPM der Volksanwaltschaft stellte 2018 fest, dass in der JA Wien-Josefstadt nur 42 von insgesamt 77 weiblichen Inhaftierten einer regelmäßigen Arbeit nachgingen. Auch in der JA Wiener Neustadt beanstandete der NPM das unzureichende Beschäftigungsangebot für Frauen.
In der Justizanstalt Schwarzau sah es für B. anders aus. Sie arbeitete in der Küche, nähte wieder für den Weihnachtsmarkt, erledigte Gartenarbeit. „In der Stunde habe ich rund einen Euro bekommen, im Monat waren es zwischen 60 bis 70 Euro. Der Rest wurde für später weggelegt“, erzählt sie.
Auch das Duschen war öfter möglich. „Man musste anläuten und fragen, ob die Beamt*innen gerade Zeit haben“, erinnert sich Ilse B. „Sie waren aber oft gestresst und es kam auch darauf an, ob du ihnen ‚liegst‘ oder nicht.“ Auch um ihr Medikament habe sie kämpfen müssen. Sie nimmt das Parkinson-Medikament Sifrol, manchmal bis zu neun Stück am Tag. Eine 100er-Packung kostete an die hundert Euro. „Es wurde mir dauernd gekürzt, irgendwann wollten sie es mir gar nicht mehr geben, und haben mich gefragt, ob ich sicher bin, dass ich es wirklich noch brauche“, berichtet die Wienerin. Margit Schrammel, Stellvertreterin des Leiters der Justizanstalt Schwarzau, sagt auf Anfrage, dass sämtliche Medikamentenverordnungen und auch Medikamentenabänderungen ausschließlich durch Anordnung der behandelnden Ärzt*innen erfolgen würden.
In der Küche arbeitete Ilse B. mit den anderen Frauen zusammen, unter ihnen Frauen, die wegen Mordes verurteilt worden waren. „Man lebt in ständiger Angst, wenn dir eine sagt: Ich habe schon lebenslang bekommen, mehr geht nicht“, berichtet B. Auch abseits der Arbeit war wenig von Solidarität zu spüren. „Es wird sofort geklaut, wenn man nicht hinschaut. Alles, was du nicht am Leib trägst, ist weg, sobald du aufs Klo oder zum Duschen gehst.“ Von den Beamt*innen erfuhr sie wenig Unterstützung. „Selbst schuld“, habe sie mehr als einmal gehört.
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„Sobald du die Schwelle ins Gefängnis übertrittst, lässt man
dich spüren: Du bist kein Mensch mehr.“
Ilse B.
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Blinder Fleck
Daten und Studien zu Frauen in Haft sind in Österreich rar. Veronika Hofinger und Andrea Fritsche vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie veröffentlichten vergangenes Jahr die Ergebnisse ihrer Dunkelfeldstudie in Österreichs Justizanstalten zum Thema Gewalt in Haft.
Frauen würden demnach ebenso wie Männer Gewalt erleben. Der Unterschied liegt in den Details. Raufhandel unter Mitinsassinnen wird im Frauenstrafvollzug ähnlich oft wie im Männerstrafvollzug registriert. Psychische Gewalt wird jedoch eher häufiger als im Männervollzug berichtet. Vor allem Verleumdungen bzw. systematisches Schlechtreden spielten eine Rolle. Eine Verallgemeinerung sei aber – auch aufgrund der geringen Stichprobe – nicht möglich.
Wenn Ilse B. ihre Erfahrungen in den Haftanstalten vergleicht, kann sie kaum Unterschiede feststellen. „Menschlich gesehen ist es überall gleich: Sobald du die Schwelle ins Gefängnis übertrittst, lässt man dich spüren: Du bist kein Mensch mehr, du bist ein Verbrecher. Selbst Beamte, die 30 Jahre jünger sind als du, sprechen dich respektlos an.“
Neubeginn
Etwas mehr als ein Jahr ist vergangen, seitdem Ilse B. aus der Haft ist. Noch ist sie auf Bewährung. „Durch meine Haft habe ich meine komplette Existenz verloren“, sagt die 56-Jährige. „Ich bin aus dem Gefängnis gegangen und hatte nur das, was ich am Leib getragen habe.“ Mittlerweile lebt B. in einer kleinen Wohnung im 22. Wiener Gemeindebezirk, die sie mithilfe der Caritas bekam. Derzeit ein Jahr auf Probe. Ein kleiner Hund leistet ihr Gesellschaft. Sie bekommt Notstandshilfe. „Beim Essen müssen wir sparen“, sagt sie.
Alle zwei Wochen geht B. zur Therapie und zur Bewährungshilfe des Vereins Neustart. „Manchmal habe ich Tage, wo ich das Gefühl habe, dass mich auf der Straße jeder anschaut und in mir eine Verbecherin sieht. Jeder weiß, was ich getan habe“, beschreibt sie ihr jetziges Leben. „Aber es ist immer noch besser als in Haft.“ Immerhin sei sie jetzt frei.
*Name von der Redaktion geändert
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