
Geflüchtete als Spielball
Es ist es noch einigermaßen weit zu einer Politik für Geflüchtete, die ihr Maß an den Menschenrechten nimmt. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Helmut Schüller
30 Jahre Lichtermeer und SOS Mitmensch. Da gelingt kein Rückblick aus der Distanz. Denn wir stecken immer noch im selben menschenrechtlich-humanitären Notstand, der damals zum Lichtermeer und zu SOS Mitmensch geführt hat. Aber immerhin gibt es seither beides: Das eine als denkwürdiges Großereignis, das in der Erinnerung Mut macht. Und das andere, SOS Mitmensch, als unermüdliche Stimme. Ich habe damals zu denen gehört, die eine solche Fortsetzung des Lichtermeeres für nicht möglich gehalten haben und bin eines Besseren belehrt worden. Nein, das Lichtermeer ist nicht erloschen. Es hat sich in die Stimme der für SOS Mitmensch Engagierten verwandelt.
H. Schüller: Die damalige „Große Koalition“ ließ sich von Jörg Haider vor sich hertreiben.
Die markante und überwältigende Sprache des Lichtermeeres war von einer verfahrenen und einfallslosen Politik für geflüchtete Menschen ausgelöst worden, die eher eine Politik mit „Flüchtlingen“ als Spielball war. Die damalige „Große Koalition“ ließ sich von Jörg Haider vor sich hertreiben, und nicht wenige in ihren Reihen fanden selbst Gefallen an den leichten Punkten, die man mit diesem Populismus machen kann. Gleichzeitig wollte man auch das „andere Österreich“ nicht verlieren. Ich erinnere mich noch gut an die Versuche mancher Regierungsparteienvertreter*innen, beim Lichtermeer an Bord zu kommen. Manche davon durchaus im ehrlichen Bestreben, letzte Brücken nicht abreißen zu lassen. Fast wäre das Lichtermeer das Ereignis eines Abends geblieben – eindrucksvoll, aber eben auch wieder vorbei. Und nicht wenige in diesem Land hätte das auch gefreut. Aber es kam eben anders. Siehe oben.
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UTE BOCK WOLLTE KEINE IDEALISTIN SEIN, SONDERN
ALS BÜRGERIN, DASS IHR LAND FUNKTIONIERT.
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Und heute? Die „Flüchtlingspolitik“ wirkt wie über dreißig Jahre hin konserviert. Auch wenn die handelnden Personen gewechselt haben und anerkannt sei, dass der kleinere Regierungspartner die Akzente zum Positiveren hin zu verschieben versucht. Zu verführerisch dürfte das Kalkül mit dem schnellen, aber oberflächlichen Punktegewinn in den Meinungsumfragen oder an der Wahlurne sein. Man müsse die Menschen eben dort abholen, wo sie stehen. Okay. Aber wird dann die Chance des Gesprächs genützt zur Bearbeitung von Vorurteilen, zur Klarstellung von Fakten, zur Gewinnung einer umfassenderen Problemsicht, zur Einladung mitzuhelfen? Oder ist mit dem „Abholen der Menschen, wo sie stehen“ in Wahrheit zu oft Anbiederung gemeint?
SOS Mitmensch ist, Gott sei Dank, zu keiner Lichtermeermuseumsverwaltung geworden. Es hat den Weg zum Lichtermeer und über dieses hinaus fortgesetzt und ist damit in Weggefährt*innenschaft mit vielen anderen ähnlichen Initiativen und ungezählten Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern, die sich beim Lichtermeer ein wenig Kraft geholt haben und vielleicht den Jüngeren davon erzählen können. Denn so, wie es aussieht, ist es noch einigermaßen weit zu einer Politik für Geflüchtete, die ihr Maß an den Menschenrechten nimmt. Ute Bock, eine der unerschrockensten Begleiterinnen geflüchteter Menschen in unserem Land, hat in ihrem extratrockenen Stil immer wieder gemeint, sie wolle von sich nicht als von einer Idealistin reden. Sie wolle einfach als Bürgerin nur, dass ihr Land „funktioniert“. Gar nicht viel mehr, aber bestimmt nicht weniger. Bevor wir also angesichts „30 Jahre Lichtermeer und SOS Mitmensch“ doch etwas zu feierlich werden sollten: Hoffen wir mit Ute Bock, dass SOS Mitmensch und wir alle weiterhin und hartnäckig darauf schauen, dass unser Land auch für geflüchtete Menschen und deren Grundrechte einfach mehr und mehr funktioniert.
Helmut Schüller ist Ko-Initiator von SOS Mitmensch. Er war Präsident der Caritas Österreich, Generalvikar und Leiter der Ombudsstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche.
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