
Erfahrungen mit humanitärer Aufnahme - Haia Haddad
„Ich durfte in Würde nach Österreich, ohne mein Leben in Gefahr zu bringen" - Haia Haddad kam 2015 gemeinsam mit ihren Schwestern über ein humanitäres Aufnahmeprogramm von Syrien nach Österreich. Bereits zwei Tage nach ihrer Ankunft hielt sie ihren positiven Asylbescheid in Händen. Die 27-jährige nutzte diese Chance, fand schnell einen Arbeitsplatz und ist kurz davor ihr BWL-Studium abzuschließen.
Redaktion: Sonja Kittel, Foto: Karin Wasner
Nur noch weg
„Mein Name ist Haia Haddad und ich bin vor sechs Jahren über ein humanitäres Aufnahmeprogramm nach Österreich gekommen. Als der Krieg in meinem Geburtsland Syrien begann, wollten meine Familie und ich nur noch weg von dort. Mein Vater war schon vor dem Krieg gestorben und für meine Mutter, meine drei Schwestern und mich war klar, dass eine Flucht über das Meer nicht in Frage kommt. Erstens war es viel zu gefährlich und zweitens unleistbar für uns. Wir hätten damals an die zehntausend Euro pro Person für einen Schlepper bezahlen müssen. Wir haben deshalb erst versucht über ein Studentenvisum in die USA oder nach Deutschland zu kommen, aber leider nur Absagen bekommen.
„Wir bekamen das OK“
Eine Bekannte in Österreich, deren Eltern aus Syrien kommen, hat uns dann die Möglichkeit eröffnet, über ein Resettlement-Programm hierher zu kommen. Sie hatte über die Kirche davon erfahren. Zuerst wurden meine Schwester und ihr Mann angemeldet und auch genommen, später dann meine zwei anderen Schwestern und ich. Wir mussten zuerst in den Libanon und dort bis zu unserem ersten Interview bei der österreichischen Botschaft warten. Nach einem zweiten Interview bekamen wir dann das Okay nach Österreich zu reisen.
„Die Angst vor der Absage war zu groß“
Ich wurde eigentlich gar nicht auf das Leben in Österreich vorbereitet. Es gab auch sehr wenig Kontakt mit dem UNHCR. Unsere Bekannte hat alles organisiert und das wirklich nur aus Nächstenliebe. Ich habe selbstständig über eine Sprach-App ein bisschen Deutsch gelernt, sonst habe ich mich nicht wirklich mit Österreich beschäftigt. Die Angst vor einer weiteren Absage, und der damit verbundenen Enttäuschung, war zu groß.. Für mich war klar, sobald ich in Österreich bin, werde ich alles über das Land lesen und lernen.
Positiver Asylbescheid am zweiten Tag
Ich bin dann mit meinen Schwestern vom Libanon nach Österreich geflogen. Den Flug haben wir selbst bezahlt. Den ersten Tag haben wir im Flüchtlingscamp Traiskirchen verbracht. Dort wurden alle bürokratischen Dinge erledigt und am zweiten Tag hatten wir schon den positiven Asylbescheid in der Hand. Alles Behördliche war ja schon vor unserer Ankunft geklärt worden. Das war natürlich sehr praktisch, wenn man bedenkt, dass andere Menschen oft Monate oder Jahre darauf warten müssen. Wir wurden am Anfang von der Caritas betreut und bekamen Unterstützung bei Behördengängen und alltäglichen Problemen, doch sobald ich Arbeit hatte, brauchte ich keine Unterstützung mehr.
Job und Studium nach eineinhalb Jahren
Ich habe meinen ersten Job eineinhalb Jahre nach meiner Ankunft in Österreich gefunden. Ich war bei MTOP, einer kleinen sozialen Firma. Daneben habe ich mich über das MORE-Programm bei der WU inskribiert, um mein Studium fertig zu machen. In Syrien hatte ich BWL studiert und mir fehlten nur noch wenige Prüfungen. Mein Plan ist, das Studium im nächsten Sommersemester abzuschließen. Seit ungefähr eineinhalb Jahren bin ich bei der österreichischen Post tätig. Dort mache ich ein IT-Programm und Projektmanagement. In meiner Freizeit reise ich gerne - jetzt bin ich gerade für ein paar Tage in Madrid – und verbringe viel Zeit mit meinen Schwestern und mit Freunden. Ich habe auch als DJ gestartet und mache, wenn ich Zeit habe, Musik. Ab und zu bekomme ich Angebote in Clubs zu spielen, aber eigentlich ist es mehr ein Hobby.
„Schlimme Erfahrungen ersparen“
Meine Erfahrungen mit dem humanitären Aufnahmeprogramm sind super positiv. Viele Freunde von mir sind über die Türkei und Griechenland nach Österreich geflüchtet. Die Leute sind nachher einfach traumatisiert. Die Flucht ist sehr gefährlich und es gibt sehr viele unmenschliche Sachen, die auf diesem Weg passieren. Wenn man ankommt, muss man Monate warten auf seinen Bescheid. Viele brauchen Jahre bis sie ihren ersten Job bekommen. Der Staat spart sich durch humanitäre Aufnahme die Kosten für diverse Unterstützungsleistungen und den Menschen erspart man langes Warten und schlimme Erfahrungen auf der Flucht. Es ist eine Win-Win Situation.
„Ich schätze meine zweite Chance sehr“
Wenn ich in Syrien geblieben wäre, hätte ich keine Arbeit, keine Zukunft und ich wäre in ein Leben gezwungen worden, das ich nicht will. Ich schätze es sehr, dass ich diese wunderbare zweite Chance bekommen habe und ich glaube auch andere Menschen haben ein Recht darauf. Es war ein langer Kampf, aber ich musste mein Leben nicht in Gefahr bringen, um nach Europa zu kommen, sondern ich durfte in Würde reisen. Du gibst den Menschen eine zweite Chance, eine Hoffnung und die Menschen geben das dann auch zurück, denn du willst dem Staat wirklich für diese Chance danken und dein Bestes geben.“
Bist auch du über ein humanitäres Aufnahmeprogramm nach Österreich gekommen und möchtest die humanitäre Aufnahmeinitiative von SOS Mitmensch unterstützen? Dann sende uns eine E-Mail an: [email protected]
SOS Mitmensch hat gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen eine große Kampagne für die Wiederaufnahme von humanitären Aufnahmeprogrammen für besonders schutzbedürftige Menschen gestartet. Wir wollen die humanitäre Tradition Österreichs wiederbeleben und Menschenleben retten!
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