
Expert*innen zu humanitärer Aufnahme - Prof. Manfred Nowak
"Es wird die Schlepperei zurückdrängen, wenn es eine geordnete Migrations- und Asylpolitik gibt." - Manfred Nowak ist Professor für internationale Menschenrechte an der Universität Wien, leitet einen Master of Arts in Applied Human Rights an der Universität für Angewandte Kunst und ist Generalsekretär des Global Campus of Human Rights in Venedig. Im Folgenden nimmt der Menschenrechtsexperte zur Bedeutung von humanitären Aufnahmeprogrammen Stellung.
"Österreich hat sehr gute Erfahrungen mit der humanitären Aufnahme besonders Schutzbedürftiger gemacht. Das hat eine lange Tradition bei uns. Schon 1956 hat Österreich 200.000 Ungarn-Flüchtlinge aufgenommen. Österreich war damals noch ein sehr armes Land, aber trotzdem gab es eine große Bereitschaft in der Bevölkerung, diese Menschen aufzunehmen. Auch 100.000 Flüchtlinge aus Tschechien 1968 oder 95.000 polnische Flüchtlinge während der Militärdiktatur in den früheren 80er Jahren wurden aufgenommen. Nach dem Ende des kalten Kriegs und dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die gesamte Migrations- und Flüchtlingspolitik dramatisch geändert, weil in Westeuropa plötzlich die xenophobe Angst geschürt wurde, dass ganz Ost-Europa nach Westen emigrieren wird. Unter diesem Druck wurde die Migrationspolitik zuerst eingeschränkt, das hatte zur Folge, dass viele auf die Flüchtlingsschiene umgestiegen sind, auch Migrant*innen. Das Asylrecht wurde eingeschränkt und damit hat man sich das ganze Schlepper-Problem eingehandelt. In diesem circulus vitiosus sind wir weiterhin in Europa. Wir werden immer restriktiver und die Schlepper dadurch immer brutaler.
Legale Fluchtwege gegen Schlepperei
Langfristig gesehen wird es die Schlepperei zurückdrängen, wenn es eine geordnete Migrations- und Asylpolitik gibt. Das heißt, dass sowohl den Menschen, die freiwillig auswandern wollen, aber insbesondere auch Flüchtlingen eine erfolgsversprechende Alternative angeboten wird. Die Schlepperei ist nur entstanden, weil die Aufnahme-Staaten es den Flüchtlingen mehr oder minder unmöglich gemacht haben, auf reguläre und legale Art und Weise in die EU einzureisen und dann um Asyl anzusuchen. Man muss die Spirale daher in die andere Richtung drehen. Ein erster Schritt wäre, Flüchtlingen im Ausland wieder die Möglichkeit einzuräumen, um Asyl anzusuchen und sie vor allem im Wege des Resettlements aus den Nachbarländern ihrer Herkunftsstaaten legal nach Europa einreisen zu lassen. Dies muss mit einer Informationskampagne und der Zusammenarbeit mit Erstaufnahmeländern verbunden werden. Wenn ich sage, ich kann Resettlement erst beginnen, wenn es keine Schlepper mehr gibt, dann wird es nie funktionieren.
Österreich braucht Einwanderung
Klassische Immigrationsländer waren nie nur aus humanitären Gründen für die Immigration, sondern auch, weil sie Arbeitskräfte gesucht haben. Ohne Einwanderung hätte das Wirtschaftswunder USA nie stattfinden können. Das gilt auch für Australien oder Kanada. Auch Österreich und Deutschland haben noch in den 1960/70er Jahren Menschen in der Türkei und dem früheren Jugoslawien angeworben, weil sie Arbeitskräfte brauchten. So ist es in Wirklichkeit auch heute noch. Es würden viele Bereiche ohne ausländische Arbeitskräfte einfach nicht mehr funktionieren. Der ganze Gesundheitsbereich, die Pflegekräfte, die Bauwirtschaft, aber auch viele Bereiche des Tourismus, der Landwirtschaft usw. sind zu einem guten Teil auf Migrant*innen angewiesen. Es gibt sehr viele demographische Studien von Migrationsexpert*innen, die genau zeigen, dass Europa ein schrumpfender Kontinent ist. Manche Staaten haben sogar negative Wachstumsraten und Europa braucht daher eine bestimmte Anzahl von Migrant*innen, um die derzeitigen Kapazitäten und die weiter steigende Nachfrage nach Arbeitskräften zu erfüllen.
Eine Frage des politischen Willens
Wir müssen uns weg von einer von xenophoben Ängsten determinierten Politik bewegen. Europa soll sich gemeinsam ansehen, wieviel Zuwanderung wir brauchen, und Flüchtlinge sollten hier primär berücksichtigt werden, auch weil sie oft sehr gut ausgebildet sind. Es ist nur eine Frage des politischen Willens. Eine gemeinsame europäische Migrations- und Asylbehörde müßte geschaffen werden, die letztlich entscheidet, wem Asylgewährt wird und wie viele Menschen als MigrantInnen oder im Wege des Resettlement legal in die Europäische Union kommen. Dann müssen wir uns natürlich überlegen, wie diese Menschen am besten verteilt werden. Da kann man auch wirtschaftliche Anreize setzen. Kleine Staaten, die bereit sind, mehr als den ihnen zustehenden Prozentsatz an Flüchtlingen aufzunehmen, sollen aus einem gemeinsamen europäischen Flüchtlingsfonds auch entsprechende zusätzliche Mittel erhalten. Jene Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen, kriegen davon nichts. Über Geld kann man sehr viel steuern, ohne restriktive Verbots- oder Gebotsregeln aufzustellen. Ich glaube man könnte alles sehr entschärfen, wenn europäische PolitikerInnen sagen, wir wollen das und wir wollen das gemeinsam. Dann können wir das auch gemeinsam schaffen.
Was wollen die Flüchtlinge selbst
Insgesamt ist für mich auch ein entscheidende Arguments, was die Flüchtlinge selbst wollen. Wenn wir diese Menschen fragsen, wo sie am liebsten in Europa unterkommen wollen, wird die Antwort nicht einfach sein im reichsten Land. Es kommt darauf an, welche Sprachen sie sprechen, wo sie Verwandte oder Bekannte haben und wo sie am leichtesten unterkommen und Unterstützung erhalten. Wenn die Menschen dann dort hingehen können, haben sie auch die größte Chance relativ schnell integriert zu werden. Dadurch können viele Kosten und Aufwand gespart werden. Das kann natürlich nicht das einzige Argument sein, aber ein schwerwiegendes. Wenn wir uns in die Situation von Flüchtlingen versetzen, die aus Furcht vor Verfolgung, Unterdrückung und Krieg ihre Heimat, ihre Sicherheit, ihre Freunde, ihr Hab und Gut aufgegeben haben, dann ist es schlicht unmenschlich, ihnen jede Mitsprache darüber abzusprechen, wo sie sich ein neues Leben und eine neue Heimat aufbauen wollen."
#humanitäreaufnahme-Kampagne von SOS Mitmensch
SOS Mitmensch hat gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen eine große Kampagne für die Wiederaufnahme von humanitären Aufnahmeprogrammen für besonders schutzbedürftige Menschen gestartet. Wir wollen die humanitäre Tradition Österreichs wiederbeleben und Menschenleben retten!
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