
Medien, Chats und ein Gewitter
Nun hat die Chataffäre auch die Medienbranche erreicht. Die Debatte darf nicht an der Oberfläche bleiben. Wir brauchen kein falsches Geheul, sondern ein reinigendes Gewitter.
Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration. Illustration: Petja Dimitrova
Das Vertrauen der Bevölkerung in Medien ist ähnlich schlecht wie in die Politik. Die vergangenen Wochen dürfte viele Menschen in ihrer Vermutung bestätigt haben, dass „den Medien“ nicht zu trauen ist.
Was ist geschehen? Der damalige „Presse“- Chefredakteur, Rainer Nowak, und der damalige Chefredakteur der TV-Information, Matthias Schrom, schafften es innerhalb weniger Tage mit Chatnachrichten in die Medien. Sie offenbarten ein Bild der Verhaberung mit dem politischen System – in einem Ausmaß, das so entsetzte, dass den Führungskräften Konsequenzen nicht erspart blieben. Sie zogen sich zurück. Seitdem diskutieren Medien über die Unabhängigkeit der Medien, Inseratenkorruption und, wie sehr Politiker*innen und Journalist*innen miteinander verhabert sind. Ich beobachte diese Debatten mit gemischten Gefühlen.
Ja, es braucht nicht nur innerhalb der Redaktionen eine Aufarbeitung dieser Chats. Personelle Konsequenzen sind zu wenig, wir müssen an die Wurzeln der Problematik gehen. Welche strukturellen Faktoren begünstigen diese Missstände eigentlich? Warum ist es möglich, dass Politiker Journalist*innen mit einem Chefposten im ORF ködern können? Warum hat eine hochrangige Führungskraft im ORF das Bedürfnis, sich mit einer Partei gutzustellen? Diese Fragen müssen debattiert werden – vornehmlich mit den angesichts der Chataffären zunächst recht stillen Medienpolitiker*innen. Und ja: Wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und so tun, als ob wir alle so wären. Das sind wir nicht. Problematisch ist aber, wenn eine Debatte, die den Anschein hat, die eigene Branche selbstkritisch zu beäugen, sich damit begnügt, die Fehler bei den anderen aufzuzeigen und sich gleichsam reinzuwaschen.
Wie zahlreiche Medien in der Ära Sebastian Kurz agiert haben, wie sie mit Interventionen umgegangen sind und warum sie die massiven Versuche, die redaktionelle Freiheit zu beschneiden, lange nicht öffentlich gemacht und angeprangert haben, muss auch aufgearbeitet werden. Wir brauchen weder Selbstgeißelung noch Selbstbeweihräucherung und auch kein falsches Geheul. Wir brauchen ein reinigendes Gewitter.
Clara Akinyosoye ist Journalistin bei orf.at und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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