
MO Editorial
Liebe Leserin
Lieber Leser,
Noch vor wenigen Jahren stellte die rechtsextreme MHP Antrag auf Verbot der AKP, doch vor wenigen Wochen hat die gleiche Partei der Regierungspartei von Recep Tayyip Erdoğan zur Mehrheit im Parlament verholfen, um die geplante, umstrittene Verfassungsreform zu beschließen. Erdoğan sollte im Gegenzug u.a. die Todesstrafe wieder einführen, die seine Partei – auch unter dem Einfluss Brüssels – erst abgeschafft hatte. Es ist nicht leicht, sich in den Verwerfungen der türkischen Politik zurechtzufinden, in der sich ein Kampf gegen die ehemaligen Verbündeten der Gülen-Bewegung mit einer demokratiepolitisch problematischen Verfassungsreform ebenso verbindet wie der Kampf gegen die kurdische PKK, den IS, gegen Terroranschläge und schlicht gegen kritische Stimmen im Land. Während zehntausende Menschen verhaftet oder aus ihren Jobs entlassen oder suspendiert wurden, macht die Regierung für die im April angesetzte Volksabstimmung über die neue Verfassung Stimmung. Das alles entscheidende Kriterium scheint „für oder gegen ihn“ (Erdoğan) zu sein. Dass die ersten, streng kemalistischen Paragraphen der geltenden Verfassung unangetastet bleiben, ist weniger oft Thema. Ali Cem Deniz hat nicht nur ein lesenswertes Buch über die Türkei verfasst, sondern für diese Ausgabe von MO in einem historischen Abriss über die Verfassungskämpfe – und damit die Macht im Land – geschrieben. Und er hat ein Interview mit dem Blogger und Journalisten Hayko Bağdat geführt, in dem dieser die aktuelle Situation aus seiner Sicht beschreibt. Der Ausgang des Referendums scheint indes keineswegs entschieden. Umfragen sagen ein ganz knappes Ergebnis voraus.
Spannende Momente wünscht
Gunnar Landsgesell
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