
„Tour de Chance“
Die Volkshilfe Österreich möchte mit einer Radfahraktion auf Kinderarmut aufmerksam machen, von der ein Viertel der Kinder in Österreich betroffen ist. Nachgefragt bei Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger, wie sich Kinderarmut äußert und warum eine Grundsicherung für Kinder helfen könnte. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Gunnar Landsgesell
368.000 Meter mit dem Rad gegen Kinderarmut – so viele Kinder, wie hier Meter geradelt werden, sind von Armut betroffen. Das ist ein Viertel aller Kinder in Österreich. Was bedeutet Kinderarmut im Alltag konkret?
Es kann bedeuten, in einer kalten Wohnung leben zu müssen, am Ende des Monats nicht ausreichend zu essen zu haben, öfter krank zu sein – oder einen verkürzten Bildungsweg zu haben. Es bedeutet auch Ausgrenzung und Abwertung durch das soziale Umfeld. Und es bedeutet, dass die Sorge um die Existenz der eigenen Familie immer präsent ist und die Kinder physisch und psychisch extrem belastet.
Wie kommt es zu dieser Armut? Ist das in dieser Dimension ein neues Problem, das mit steigenden Energiepreisen und Teuerungen zu tun hat?
Nein, es ist ein strukturelles Problem, gegen das wir schon länger ankämpfen. Die Teuerung hat das Problem nur verschärft. Die Kinderarmutszahlen, die wir aus der Statistik zur Verfügung haben, hinken leider immer hinterher, sie bilden noch nicht einmal das zweite Corona-Jahr ab, geschweige denn die Teuerungen.
Wie kann die Volkshilfe konkret helfen?
Wir helfen mit konkreter finanzieller Unterstützung in unterschiedlichen Bereichen. Mit dem Kindergesundheitsfonds zum Beispiel unterstützen wir Therapien, Heilbehelfe, oder Kosten für Medikamente, die durch die Krankenkassen nicht oder erst im Nachhinein gedeckt werden. Der Volkshilfe Bildungsfonds hilft bei technischer Ausrüstung, Schulausflügen oder Nachhilfe. Und wir bieten Sozialberatung und eine monatliche Unterstützung pro Kind, die ein Jahr lang ausbezahlt wird.
Sie fordern, die Politik müsse die Familien besser unterstützen. Welche Defizite sehen Sie?
Mit dem Anti-Teuerungspaket der Regierung steigen Besserverdienende besser aus. Armutsbetroffene hingegen haben aufgrund der hohen Inflationsrate große Probleme, ihre Grundbedürfnisse wie Wohnen, Heizen und Essen zu decken. Wir fordern daher seit Jahren eine Kindergrundsicherung. Also eine nach Einkommen gestaffelte Familienbeihilfe, die automatisch ausbezahlt wird und armutsbetroffene Kinder stärker unterstützt. Nur so können wir die Weitergabe von Armut an die nächste Generation verhindern.
In Frankreich hat Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux eine Petition unterzeichnet, in der festgehalten wird, dass der französische Staatspräsident nicht genug tut, um armen Familien zu helfen, während Unternehmen extreme Gewinne machen. Würden Sie sich dem anschließen?
Absolut. Wer von arm spricht, muss auch von reich sprechen. In Österreich gibt es etwa gleich viele Millionäre, wie armutsbetroffene Kinder. Das reichste Prozent besitzt fast die Hälfte des Vermögens. Vermögenssteuern sowie eine Übergewinnsteuer für Unternehmen dürfen keine Tabus sein. Im Gegenteil: Sie sind die Lösung für eine gerechte Umverteilung in unserem Land.
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