
Unrecht braucht Widerstand
Seit 30 Jahren kämpft SOS Mitmensch in Österreich gegen Unrecht. Menschenrechtlichen Erfolgen steht der Aufstieg der extremen Rechten und des Rechtspopulismus gegenüber. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Alexander Pollak
In Österreich aufgewachsene Kinder werden mitten in der Nacht von der Polizei abgeholt und rechtswidrig außer Landes gebracht. Ein Innenminister versucht, das Demonstrationsrecht massiv zu beschneiden. Asylsuchende werden trotz vorhandener Unterkünfte in Massenzelte verfrachtet. Rechtsextremisten kommen in die österreichische Bundesregierung. Minister*innen wirken an rassistischen Kampagnen mit. Zigtausende Menschen im Land sollen durch die Abschaffung der Mindestsicherung in die Armut getrieben werden. Die radikale Nichteinbürgerungspolitik lässt die Anzahl der hier geborenen Kinder ohne österreichische Staatsbürgerschaft auf über eine Viertelmillion anwachsen. Ein immer größerer Teil der Bevölkerung darf nicht an Wahlen teilnehmen. Die Zahl der in Österreich von Staatenlosigkeit betroffenen Personen erreicht ein neues Rekordhoch. Einer afghanischen Forscherin wird zuerst ein Visum zugesagt und danach die Einreise nach Österreich verweigert.
Die Liste der Unrechtsereignisse ließe sich lange fortsetzen. Seit nunmehr 30 Jahren drückt SOS Mitmensch dort, wo Gefahr für Menschen und die Demokratie droht, den Alarmknopf, sucht das Gespräch, geht an die Öffentlichkeit, mobilisiert, gibt Betroffenen eine Stimme und versammelt Expert*innen, um Lösungen zu erarbeiten. Viele der Initiativen und Kampagnen waren erfolgreich. Eine Liste mit 70 Erfolgen findet sich auf der Webseite von SOS Mitmensch. Zugleich gibt es aber auch herbe Rückschläge und eine starke politische Anti-Menschenrechts-Bewegung. Gegründet wurde SOS Mitmensch in einer Zeit, als Grenzen geöffnet wurden und Österreich vom Rand ins Zentrum Europas rückte. In dieser Zeit formierte sich hierzulande auch das rechte politische Lager neu und machte den unkritischen oder sogar bejahenden Bezug zur Nazizeit und das Spiel mit Sündenböcken zu ihrem Wesenskern. Das „Anti-Ausländer-Volksbegehren“ sollte zur großen Mobilisierung dieses Lagers werden.
Dem stellten sich Persönlichkeiten aus Kultur, Journalismus, dem Sozialbereich und der Kirche entgegen. Das Lichtermeer von SOS Mitmensch am 23. Jänner 1993 wurde zur größten Protestkundgebung der Zweiten Republik. Es gilt zurecht als Meilenstein der österreichischen Zivilgesellschaft, die seitdem sukzessive an Breite gewonnen hat. Doch der politische Aufstieg der Rechten war damit nicht gestoppt. Anfang 2000 wurde die erste Regierung mit Beteiligung der neu formierten extremen Rechten angelobt. SOS Mitmensch war ein wichtiger Teil der Widerstandsbewegung. Ebenso, als die ÖVP unter Sebastian Kurz wesentliche Stil- und Ideologieelemente der extremen Rechten übernahm und mit ihr eine Regierung bildete, die rassistische Kampagnen betrieb und Gesetze erließ, die im Widerspruch zu Grundpfeilern unserer Verfassung standen. SOS Mitmensch konnte als rein spendenfinanzierte Organisation ohne jegliche Abhängigkeit von staatlichen Geldern lautstark die Stimme erheben.
Die Regierung Kurz-Strache zerbrach am Ibiza-Video. Aber mit ihr zerbrach nicht die Anti-Menschenrechtspolitik. Das aktuelle Regierungsprogramm weist katastrophale menschenrechtliche Lücken auf. In Teilbereichen ist es sogar ein Abziehbild des auf Spaltung ausgerichteten Programms der Vorgängerregierung. Der Kampf für die Durchsetzung von Menschenwürde und Menschenrechten kennt keine Atempause.
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