
Zeit für eine Populistenpause
Über unseren fahrlässigen Umgang mit dem kostbaren Gut „Aufmerksamkeit“. Kommentar: Alexander Pollak, Illustration: Petja Dimitrova
Trump, Wilders, Strache, die AfD – Kein Tag vergeht, ohne dass über RechtsaußenpolitikerInnen und -gruppierungen in sozialen Netzwerken gepostet wird. Die Postings und Tweets kommen großteils von Leuten, die diesen Entwicklungen kritisch gegenüberstehen. Einmal ist der Antrieb Empörung über menschenverachtende Politik, ein anderes Mal ist es Hohn über deren plumpes oder fehlerhaftes Auftreten. Doch wem nutzt das?
Tatsache ist: Unsere Aufmerksamkeit ist ein enorm wertvolles Gut, insbesondere für die Arbeit von Parteien und PolitikerInnen. Wer keine Beachtung findet, hat keine Chance auf gute Wahlergebnisse. Von diesem kostbaren Gut der Aufmerksamkeit hat in den vergangenen 30 Jahren in Österreich keine politische Gruppierung mehr profitiert als die FPÖ.
Als Jörg Haider im Jahr 1986 zum FPÖ-Parteiobmann gewählt wurde, entwickelte und perfektionierte er eine Kommunikation, in der das Ringen um Aufmerksamkeit an erster Stelle stand. Seine Methoden der Provokation und der Tabubrüche wurden von der populistischen und extremen Rechten in ganz Europa kopiert.
Auch wenn nicht jeder Tabubruch und jede Provokation der FPÖ tatsächlich genützt hat. – Langfristig fürchten sich Extremisten nur vor einem wirklich: dass andere mehr Aufmerksamkeit bekommen als sie.
Um das Bewusstsein zu schärfen, wie PopulistInnen mit unserer Aufmerksamkeit und Empörung spielen, hat SOS Mitmensch ein bislang ziemlich einzigartiges Experiment gestartet. Einen Monat lang sollen alle, die gegen rechten Populismus und Extremismus sind, eine „Populistenpause“ einlegen.
Mehr Cleverness
Das bedeutet, einen Monat lang kein Posten, kein Teilen, kein Kommentieren, kein Erwähnen, kein öffentliches Empören über rechtspopulistische und rechtsextreme österreichische PolitikerInnen, Parteien und Webseiten.
In diesem Monat soll ausprobiert werden, wie es ist, wenn man sich dem Werben der Rechten um ständige Aufmerksamkeit entzieht und stattdessen andere Dinge in den Mittelpunkt des eigenen öffentlichen Handelns in sozialen Netzwerken stellt. Und zwar unabhängig davon, wie sehr die Rechte provoziert und versucht, neue Maßstäbe in Sachen Rassismus, Diffamierung, Lüge, Korruption und Peinlichkeiten zu setzen.
Ziel der „Populistenpause“ ist nicht das Ende der Kritik an der populistischen und extremen Rechten. Diese Kritik ist wichtig. Aber wir brauchen mehr Klarheit darüber, welche Anlässe und Formen der Kritik den rechten ProvokateurInnen schaden und welche ihnen nutzen. Es geht nicht um Wegschauen, sondern um mehr Cleverness beim Hinschauen und ein gezielteres Verarbeiten oder eben Nichtverarbeiten.
Der Ausgang dieses Experiments ist offen. Für alle, die sich beteiligen, wird der Populistenentzug wohl gar nicht so einfach werden. Auf der Webseite von SOS Mitmensch finden sich daher eine Reihe von Tipps, wie man den Aufmerksamkeitsentzug am besten angehen und zugleich eigene Entzugserscheinungen mildern kann.
Darüber hinaus sollen Beobachtungen und Erfahrungen an [email protected] geschickt und auch über sowohl starke als auch schwache Momente berichtet werden.
Im Anschluss an die „Populistenpause“ heißt es Bilanz ziehen. Alle Infos zur Aktion, die vom 1. bis 31. März läuft, finden sich auf www.sosmitmensch.at
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