Expert*innen zu humanitärer Aufnahme - Mag. Christoph Riedl
„Die Wiederaufnahme eines humanitären Aufnahmeprogramms in Österreich ist absolut notwendig.“ - Mag. Christoph Riedl ist Experte für Asyl, Migration, Integration und Menschenrechte bei der Diakonie. Er war Teil einer EU-Delegation, die sich in New York und Kanada ein Bild von Resettlement-Programmen in Nordamerika gemacht hat und hat das Resettlement-Konzept für Österreichs letzte drei Aufnahmeprogramme mitentworfen.
"Die Gewährung von Asyl für Flüchtlinge auf Basis der europäischen Rechtsordnung und humanitäre Aufnahmeprogramme, wie Resettlement oder Relocation, sind zwei unterschiedliche Dinge. Man kann als Staat nicht nur eine Schiene fahren und die andere vernachlässigen. Für beides gibt es Verpflichtungen. Die eine, für Österreich zentrale, Schiene sind Asylverfahren für spontan ankommende Flüchtlinge, die auf österreichischem Boden einen Asylantrag stellen. Das ist eine völkerrechtliche Verpflichtung. In verschiedenen Menschenrechtsdokumenten und auch im Unionsrecht ist verankert, dass Menschen das Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Asylverfahren innerhalb Europas haben. Es wäre ein Rechtsbruch, aber auch ein Armutszeugnis, wenn ein Land wie Österreich sagt, wir führen keine Asylverfahren mehr. Hier entscheiden auch nicht Politiker*innen, sondern Gerichte, wie das Verfahren ausgeht.
Eine moralische Verplflichtung
Die zweite Schiene, die humanitäre Aufnahme von Menschen in Krisensituationen, ist keine rechtliche, sondern eine moralische Verpflichtung und dafür eignet sich Resettlement. Weitere Möglichkeiten sind, dass man Menschen unmittelbar evakuiert, humanitäre Korridore schafft, humanitäre Visa ausstellt oder Visaerleichterungen über Botschaften gewährt. Bei einer humanitären Aufnahme geht es darum, den Menschen die gefährlichen Fluchtrouten zu ersparen. Es wird immer wieder das Argument gebracht, dass man Schlepperei bekämpfen muss, um illegale Migration zu verhindern. Es ist genau umgekehrt. Es gibt keine legale Möglichkeit einen Asylantrag in Österreich oder sonst wo in der EU einzubringen, außer man reist illegal ein. Das ist auch der Grund, warum in der Genfer Flüchtlingskonvention explizit steht, dass niemand wegen illegaler Einreise oder illegalen Aufenthalts zu bestrafen ist, wenn er*sie ein Flüchtling ist. Wenn Politiker*innen wirklich die Schlepperei bekämpfen wollen, dann müssen sie Korridore für legale Fluchtwege öffnen. Damit würde man der Schlepperei den Boden entziehen. Wenn Zäune und Grenzen errichtet werden, blüht das Geschäft wieder auf. Je höher und gefährlicher die Grenzen werden, desto gefährlicher und teurer wird auch die Flucht.
„Das ist eine Win-Win Situation“
Der Vorteil von humanitären Aufnahmeprogrammen für Österreich ist, dass man genau weiß, wer kommt. Die Menschen haben sofort Zugang zum Arbeitsmarkt, weil sie als anerkannte Flüchtlinge aus dem Flugzeug steigen oder unmittelbar danach ohne weiteres Verfahren einen positiven Bescheid bekommen. Man kann sofort mit der Integrationsarbeit beginnen. Das ist eine Win-Win Situation. Wir hatten in unserem Resettlement-Konzept für die Österreichische Regierung vorgesehen, dass Gemeinden sich um die Aufnahme von Flüchtlingen und die Ansiedlung einer Familie bewerben können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Das sollte das System ein bisschen auf den Kopf stellen, wurde aber leider nicht umgesetzt. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass es große Bereitschaft in der Gesellschaft gibt, Menschen aufzunehmen und dass man die Geschichte mit Resettlement ganz anderes erzählen kann. Es gibt viele Menschen, die sich für die Aufgenommen einsetzen, die sie unterstützen und das als sehr positiv wahrnehmen. In Kanada war es sogar so, dass man die Hilfsbereitschaft auf fünf Menschen pro Familie begrenzen musste, weil da so viel angeboten wurde.
Humanitäre Aufnahme hat Tradition
Es hat in Österreich Tradition, Menschen aufzunehmen und ihnen zu helfen. Kanada wertet die Verteilung von ungarischen Flüchtlingen durch Österreich 1956 als eines der ersten Resettlement-Programme der Nachkriegszeit. Österreich war in der Geschichte immer an Kontingentflüchtlingsaktionen beteiligt, egal ob aus Chile, Argentinien oder nach dem Giftgasangriff aus Halabdscha im Irak. Es war damals ganz selbstverständlich, dass Österreich die Menschen einfliegen und in unseren Krankenhäusern behandeln lassen hat. Dass man heute überhaupt niemanden mehr aufnehmen will, ist komplett unverständlich und moralisch nicht vertretbar. Es gibt derzeit zum Beispiel ein Evakuierungsprogramm des UNHCR, wo aus Folterlagern in Libyen Menschen nach Niger evakuiert werden und dort für Resettlement bereitstehen. Immer wenn Länder sich verpflichten, Menschen aus Niger zu nehmen, dürfen wieder Menschen aus den Folterlagern evakuiert werden. Österreich nimmt auch hier keinen einzigen.
Menschen ohne Perspektive
Die Situation an den EU-Außengrenzen spitzt sich zu. Es wird so getan, als ob das Non-refoulement-Gebot, das Recht auf Asylantragsstellung an den Grenzen, nicht mehr existiert. Aber was ist das Alternativkonzept? In Bosnien sind sehr viele Menschen, darunter viele Afghan*innen, die in der EU sofort irgendeine Art von Schutz bekommen müssten, wenn sie ein Asylverfahren beantragen. Sie versuchen immer wieder über die kroatische Grenze zu gelangen, weil das ihre einzige Chance ist. In Bosnien haben sie keine Perspektive. Dort gibt es keine Versorgung durch den Staat. Es gibt auch keine Initiativen aus europäischen Ländern ein bosnisches Asylsystem aufzubauen. Politiker*innen reden immer von Externalisierung, von Lagern außerhalb Europas, von denen aus Asylanträge gestellt werden könnten. Mit Bosnien haben sie ein ganzes Land mit einer Menge Menschen, aus denen man mit einem humanitären Aufnahmeprogramm zumindest die Vulnerabelsten herausfiltern könnte, aber sie werden nicht aufgenommen. Es gibt kein Interesse etwas zu lösen.
Den Vulnerabelsten helfen
Eine Wiederaufnahme eines humanitären Aufnahmeprogramms in Österreich ist absolut notwendig. Die Menschen, die es über illegale Fluchtrouten nach Europa schaffen, sind die Fittesten, aber oft nicht die in der größten Not. Diese vulnerablen Personen können durch humanitäre Aufnahme zielgerichtet ausgewählt werden. Wenn Europa entscheiden würde Menschen in vernünftiger Kapazität - 400.000-500.00 pro Jahr - geordnet aufzunehmen, würden die Menschen, die darüber nachdenken zu flüchten, sich vielleicht gedulden, anstatt die gefährliche Flucht auf sich zu nehmen.
SOS Mitmensch hat gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen eine große Kampagne für die Wiederaufnahme von humanitären Aufnahmeprogrammen für besonders schutzbedürftige Menschen gestartet. Wir wollen die humanitäre Tradition Österreichs wiederbeleben und Menschenleben retten!
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