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Kann man sich über Social Media informieren? Yvette und Princess, zwei junge Wienerinnen, über die Vorteile, sich selbst seinen Nachrichtenstream zu organisieren. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text und Fotos: Beverly Mtui
Der weltweit exponentiell ansteigende Social Media-Konsum als Markenzeichen des digitalen Zeitalters könnte nicht polarisierender sein. Die Antithese von digitaler Vernetztheit und fehlender offline Verbundenheit führt zu hitzigen Debatten, die sich durch Generationen ziehen, und dennoch wird vor allem die Generation Z, die um die Jahrtausendwende geborenen jungen Erwachsenen, für den Boom von Sozialen Medien verantwortlich gemacht.
„Zu viel am Handy“, hören junge Menschen oft, doch was verbirgt sich dahinter? Dass es beim Social Media-Konsum um mehr als nur witzige Tänze und virale Challenges gehen kann, erzählen die zwei Wienerinnen Princess und Yvette und schenken uns einen Einblick darin, wie sie Social Media als Tool für Identitätsfindung, Repräsentation und Zugehörigkeit nutzen.
Generation Z. Yvette Ojo (19), Biologiestudentin im 2. Semester. (li.);
Princess Njoku (19), angehende Studierende der Soziologie. (re.)
Princess und Yvette sind schon von klein auf miteinander befreundet und können sich ein Leben ohne Social Media nicht mehr vorstellen. An einem sommerlichen Nachmittag treffe ich mich mit den beiden 19-jährigen Wienerinnen im Augarten, um herauszufinden, was es mit Social Media auf sich hat. Die Generation Z ist für vieles bekannt, zumal für ihren Social Media Konsum, durch den sie ab und an in Verruf kommt. Die beiden erzählen mir, welche Rolle Social Media in ihrem Leben spielt und wie sich ihr Zugang zur Welt und zum Selbst durch das Medium verstärkt. „Wir nutzen eigentlich alle Plattformen. Von Instagram bis zu Tik Tok und Twitter. Sobald ich meine eigenen Interessen in den Algorithmus integriert habe, bekomme ich alles mit, was ich mitbekommen will“, erklärt Yvette. Auch wenn ein großer Kritikpunkt von Social Media genau dieser Algorithmus ist, der das Verharren in der eigenen Blase verstärkt, sich in erster Linie auf die Interessen der User*innen stützt und wenig anderen Input liefert, so meinen die beiden, dass sie trotzdem auch anderer Content erreicht, nämlich das, was trendet. Aber ist das genug? Für die beiden schon. Princess ergänzt, wie vielfältig das Informationsangebot auf Social Media sei. „Mich interessiert wenig nicht“, sagt sie und betont, dass ihr Social Media Konsum sowohl Trendiges als auch für sie relevante und interessante Themen rund um Kunst, Musik und Schauspiel balanciert abdeckt.
Das Bewusstsein für die neuesten Trends sei heutzutage maßgeblich. „Wir müssen alle am Laufenden sein und wenn man dem Trend nicht folgt, ist man hinten nach und kann einfach nicht mitreden“, sagt Princess. Durch Social Media sei man demnach mit der Welt verbunden. Princess und Yvette haben 2021 maturiert und erklären, dass auch in diesem neuen Lebensabschnitt Soziale Medien ein wichtiges Tool seien, um mit Freundinnen und Freunden verbunden zu bleiben. „Über Social Media bleiben wir connected, indem wir Infos teilen, auch wenn wir einander nicht mehr jeden Tag sehen. Konversationen und Interaktionen hängen von den neuesten Trends ab und da müssen wir natürlich up-to-date bleiben.“
Mainstream Media? Eher nicht.
Traditionelle Medien wie Tageszeitungen oder lineares Fernsehen konsumieren die beiden eher nicht. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass auf Social Media konkret nach den eigenen Interessen gesucht werden kann. „Auf Social Media finde ich das, was mich interessiert“, sagt Yvette. „Die Inhalte in den Zeitungen sind oft so dramatisch und das sind Dinge, die ich manchmal einfach nicht lesen will. Auf Social Media kann ich mir aussuchen, was ich sehen will. Wenn mich etwas nicht interessiert, scrolle ich weiter und suche nach etwas anderem.“ Einen weiteren Unterschied sehen sie in der Vielfalt der Beiträge. Princess dazu: „Auf Social Media kann ich mehrere Meinungen und Sichtweisen zu einem Thema finden, während ich in der Zeitung mit einem einseitigen Artikel konfrontiert bin. Das Internet erlaubt mir hingegen, nach unterschiedlichen Perspektiven zu suchen und so verschiedene Seiten eines Themas zu erfahren.“ Yvette ergänzt, dass auch die Kommentare unter den Beiträgen ein Vorteil sind, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und gleich mal mehr Eindrücke über die Rezeption zu bekommen. „Die Kommentare helfen wirklich zu sehen, wie die Inhalte bei den anderen rüberkommen. Da kann man seine eigene Sichtweise mit der der anderen vergleichen und sie vielleicht auch ändern.“
Allerdings räumen die beiden ein, dass es eine gewisse Selbstreflexion und Logik braucht, um dem Wirbelsturm auf Social Media nicht zu verfallen. „Man kann nicht einfach alles, was im Internet steht, glauben. Man muss auch selbst nachdenken, aber das ist doch genauso wie beim Zeitung lesen“, sagt Princess. Da stellt sich natürlich die Frage, wer für die Recherche und Verlässlichkeit der Informationen zuständig ist – wird hier nicht die Eigenverantwortung ein bisschen zu groß? Das verneinen Yvette und Princess ganz klar. Das Faktenchecken gehöre einfach dazu. „Wenn ich etwas von Influencer*innen höre, dann will ich erst einmal herausfinden, woher sie diese Info haben. Je nachdem, ob die Infos von einer vertrauenswürdigen Quelle stammen, von einer Plattform meines Vertrauens, nehme ich die Info an oder eben nicht. Im Internet kann man ja schauen, woher die Infos kommen.“ Und Yvette ergänzt: „Und wenn man bereits am Handy ist, kann man auch schnell einfach recherchieren und verifizieren.“ Klingt gut, aber lassen sich Inhalte wirklich so leicht am Handy verifizieren? Ja, glaubt Yvette. „Ich finde Infos auf der einen Plattform, recherchiere auf der anderen Plattform darüber und tausche mich mit anderen aus.“
Überholte Sichtweise
Die Gegenüberstellung von Social Media und traditionellen Medien finden die beiden langsam, aber sicher überflüssig. „Auch Tageszeitungen machen immer mehr Gebrauch von Social Media. Die haben vielleicht einen schlechten Ruf, aber es ist eindeutig, wie wichtig sie sind, um unterschiedliche Leute zu erreichen. Tageszeitungen können ja auch durch Social Media auf ihre Plattformen verweisen und somit davon profitieren.“ Die beiden verdeutlichen, dass die eigene Entscheidungsmacht im Vordergrund steht, welche Inhalte von welchen Plattformen konsumiert werden. Dennoch sei es wichtig herauszufiltern, welche Informationen relevant sind, damit es nicht zu viel wird. „Social Media-Pausen sind für die mentale Gesundheit enorm wichtig“, schildern die beiden. „Vor allem, wenn es um Themen geht, die einen selbst betreffen. Da muss man sich manchmal distanzieren, um sich selbst zu schützen.“ Yvette erinnert sich an den Social Media-Sturm rund um #blacklivesmatter im Jahre 2020 und erklärt: „Wenn ich jeden Tag traumatisiert werde, weil mir die Inhalte zu nahe sind, dann muss ich mich bewusst dazu entscheiden, positiveren Content zu konsumieren – oder mir eine Pause zu gönnen.“
Yvette: „Sobald ich meine eigenen Interessen in den Algorithmus integriert habe,
bekomme ich alles mit, was ich mitbekommen will.“
Teil der Community
Wie aber erreichen Themen die beiden überhaupt? Das hängt zum einen davon ab, ob sie gerade „trenden“ und demnach in aller Munde sind. Das Thema Klima ist zum Beispiel etwas, das auf Social Media hohe Wellen schlägt, woran die beiden User*innen nicht vorbeikommen. „Trendige Themen sind einfach Themen, von denen man gerade viel hört“, erklärt Princess. Aktuelle Weltgeschehnisse gehen daher nicht an den Nutzerinnen vorbei, sondern erreichten sie „so oder so“. Trotzdem sei es User*innen selbst überlassen, wie tief sie sich damit auseinandersetzen. „Ich muss ehrlich zugeben, man wird mit so vielen Inhalten auf einmal konfrontiert, aber es geht einfach darum, was und wie viel man auf Dauer selbst einnehmen will“, sagt Princess. Der Nachrichtenstream wird also in die eigene Hand genommen und selbst organisiert. Doch welche Vorteile bringt das?
Für Yvette stärkt diese Selbstorganisation und Selbstbestimmung nicht nur die Interessen, sondern auch die Identität. „Durch Social Media bin ich Teil einer Community“, merkt Yvette an. „Ich war zum Beispiel noch nie so sehr mit meinen nigerianischen Wurzeln verbunden wie jetzt, weil ich einfach Leuten folge, die so aussehen wie ich.“
Social Media ist nicht länger nur Informationsquelle, sondern ein Ort, um mit anderen zu interagieren. Der Austausch von Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken beginne zwar online, Social Media hohe Wellen schlägt, woran die beiden User*innen nicht vorbeikommen. „Trendige Themen sind einfach Themen, von denen man gerade viel hört“, erklärt Princess. Aktuelle Weltgeschehnisse gehen daher nicht an den Nutzerinnen vorbei, sondern erreichten sie „so oder so“. Trotzdem sei es User*innen selbst überlassen, wie tief sie sich damit auseinandersetzen. „Ich muss ehrlich zugeben, man wird mit so vielen Inhalten auf einmal konfrontiert, aber es geht einfach darum, was und wie viel man auf Dauer selbst einnehmen will“, sagt Princess. Der Nachrichtenstream wird also in die eigene ende aber nicht dort. „Darüber kann ich dann auch mit Leuten reden, die ich im echten Leben kenne. Social Media hat mir dadurch schon sehr geholfen, mich mehr in meine Community zu involvieren“, sagt Yvette. Princess bringt noch einen Aspekt ein: „Ich setze mich ja auch durch Social Media und die Themen, mit denen ich konfrontiert werde, mit mir selbst auseinander. Ich bin eher auf Social Media, um mich zu amüsieren; nicht immer, um mich weiterzubilden. Und auch wenn es um Bildung geht, dann mache ich das durch Leute, die so aussehen wie ich.“
Folgt man den zwei jungen Wienerinnen, kann man sich durch Social Media also nicht nur mit der Welt connecten, sondern auch mit sich selbst. „Wir haben das Glück, dass wir genau jetzt in diesem Alter und in dieser Phase sind, wo es Social Media gibt, wo wir uns auch mit anderen identifizieren können, und mit Leuten, die so aussehen wie wir.“ Durch Social Media fände man sogar Communitys, von denen man nicht einmal gewusst habe, dass man dazugehört.
Princess: „Das kann klein anfangen, in dem zum Beispiel alle dasselbe Meme gesehen haben. Es kann aber auch soweit gehen, dass sich Leute in ihrer Identität gesehen, verstanden und repräsentiert fühlen, sei es durch das Aussehen der Personen, oder das, was sie sagen oder auch, was sie in ihrem Content zeigen.“
Beverly Mtui hat Erfahrung in unterschiedlichen Frauenrechts-NGOs, sie ist Mitbegründerin sowie Chefredakteurin von freshVibes, die Radiosendung der jungen Schwarzen Diaspora in Österreich auf Radio ORANGE 94.0, und Masterstudentin der internationalen Entwicklung.
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