„Da kann einem schon mulmig werden“
SLAPP – das sind Klagen mit dem Ziel, ein Medium oder eine Person einzuschüchtern. Solche Fälle nehmen zu, sagt Anwältin Maria Windhager. Florian Skrabal von „Dossier“ und Thomas Walach, ehemals Zackzack.at, berichten über existenzbedrohende Klagen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Andreas Bachmann
Für Florian Skrabal war es ein Schock. „Das fühlte sich an wie Flugnotfall“, sagt der Chefredakteur des investigativen Magazins Dossier. Es waren schwere Turbulenzen, als im Dezember 2020 ein dicker Brief in der Redaktion landete. „Da mussten wir uns erst mal setzen, einen Kaffee trinken und uns sammeln“, erzählt er im Gespräch.
Wenn Konzerne klagen, kann das für Medien
existenzbedrohend sein.
Was war geschehen? Der Brief kam vom Handelsgericht Wien. Darin: eine Klage der OMV AG. Österreichs größter Konzern für Öl, Gas und Chemie klagte auf Unterlassung, Widerruf und Zahlung. Laut Dossier ging es um einen Streitwert von 94.000 Euro. Allein die Kosten des Klageverfahrens sollten knapp 5.000 Euro betragen. Für das ausschließlich von Beiträgen seiner Leser*innen finanzierte Magazin wäre das existenzbedrohend. „Wir waren schockiert über die Summe, um die es ging“, sagt Skrabal. Die OMV störte sich an einem Dossier- Artikel, der den Kauf von Anteilen am Chemiekonzern Borealis thematisierte. Rund vier Milliarden Euro legte die OMV dafür auf den Tisch. Pikant: Verkäufer der Anteile war Mubadala Investments, ein Staatsfonds des Emirats Dubai. Und der ist gleichzeitig mit 24,9 Prozent Anteil einer der Hauptaktionäre der OMV. Dokumente legten den Verdacht nahe, dass die zu 31,5 Prozent der Staatsholding gehörende OMV zu viel für die Borealis-Anteile bezahlt hatte, und das mit staatlichem Geld. Im Jänner 2021 klagte sie Dossier wegen eines weiteren Artikels. „Damit stieg deren Schadenersatzforderung auf 130.000 Euro“, erzählt Skrabal. „Da war uns klar, die wollten unsere Berichterstattung nicht und einen Deckel darauf.“ Aus Sicht von Dossier hatte die OMV eine sogenannte SLAPP-Klage in Gang gebracht. Das Akronym steht für „Strategic lawsuit against public participation“. Wörtlich übersetzt heißt das Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung, oder einfacher formuliert: Einschüchterungsklage.
SLAPP-Klagen nehmen zu
Nach dem ersten Schock kontaktierte Dossier die Medienanwältin Maria Windhager. Sie war verblüfft, als sie das Klageschreiben sah. So einen Fall hatte sie noch nie auf den Tisch bekommen. Mehrere Dinge fielen ihr auf. „Da wurde über etwas berichtet, was schon vorher Thema war“, sagte Windhager jüngst bei einer Konferenz zum Thema SLAPP im Wiener Presseclub Concordia. Andere Medien wie Standard und Kurier, die schon vorher berichtet hatten, wurden hingegen nicht geklagt. Noch etwas fiel der Anwältin auf. Wie der Streitwert zustande kam, war zumindest ungewöhnlich. „Die OMV legte ein lustiges Gutachten vor“, so Windhager. Darin habe es geheißen, „durch die Berichterstattung hätten sie einen Reputationsschaden erlitten und viel Geld ausgeben müssen, um das zu reparieren“.
Anwalt Peter Zöchbauer vertrat die OMV gegen
„Dossier“. Er weist auf Verfahrenshilfen hin.
Das heißt: Die OMV musste Anzeigen in Medien schalten, um ihr Image aufzupolieren. Dafür sollte Dossier zahlen. Die Frage bleibt, wie ein behaupteter Imageverlust und dessen Reparatur seriös berechnet werden kann, ohne in das weite Feld der Fantasie abzurutschen. Für Dossier bedeutete das jedoch ein handfestes Problem. „Es war klar: Diesen Prozess vorzufinanzieren übersteigt die Möglichkeiten von Dossier“, so Windhager. Selbst eine normale Unterlassungsklage könne schnell 30.000 bis 50.000 Euro kosten. Ist die Gegenseite ein großes Unternehmen oder eine vermögende Person, zahlt sie das aus der Kaffeekassa. Windhager interpretierte das so: „Es soll eine Einschüchterungswirkung erzeugt werden: Passt ja auf, worüber ihr berichtet.“ So etwas sei auch ein Signal an andere Journalist*innen. „Und das ist problematisch“, so Windhager. Sie kenne seit vielen Jahren die „Einschüchterungswirkung dieser Klagen“. Maria Windhager ist eine der bekanntesten und profiliertesten Medienanwält*innen Österreichs. Sie vertritt u. a. die Tageszeitung Der Standard. Ihrer Einschätzung zufolge nimmt das Phänomen SLAPP zu. Dabei gehen nicht nur Unternehmen gegen Medien vor. Gegen einzelne Journalist*innen und Privatpersonen würden gehäuft Privatanklagen eingebracht. Personen zu klagen, die Unternehmer*innen oder Politiker*innen kritisieren, werde dann damit gerechtfertigt, „dass man gegen Hass im Netz vorgeht“, so Windhager. Sie verweist auf den berühmt gewordenen Fall von Wolfgang Pechlaner. Der hatte im März 2021 im Kurznachrichtendienst Twitter vom „laptoplosen“ Gernot Blümel geschrieben und die ÖVP als „vergesslich und korrupt“ bezeichnet. Der damalige Finanzminister Blümel verklagte Pechlaner wegen übler Nachrede. Windhager interessierte der Fall. „Alle Kolleg*innen haben gesagt, Pechlahner wird verlieren, ich aber meinte: Nein, das muss zulässig sein.“ Am Landesgericht für Strafsachen verlor Pechlaner. Die Strafe: 100 Euro. Das Handelsgericht Wien, wo Blümel zusätzlich Unterlassungsklage und Antrag auf Einstweilige Verfügung einbrachte, wischte das vom Tisch. Zu Ende ausgefochten ist der Fall noch nicht.
Maria Windhager, Medienanwältin: das
Phänomen SLAPP nimmt zu.
Ob eine kritische Äußerung noch zulässig ist oder schon strafwürdig, entscheiden Gerichte bisweilen also höchst unterschiedlich. „Jeder Prozess birgt ein Risiko, zu verlieren. Das kann man vorher nicht einschätzen“, sagt Anwalt Peter Zöchbauer zum MO-Magazin. Er vertrat die OMV beim Gerichtsstreit mit Dossier. Zöchbauer hat sich, das kann man wohl so sagen, mit diesem und ähnlichen Verfahren einen Namen gemacht. Dass geklagt zu werden für Medien wie Dossier schon wegen der Prozesskosten ein existenzbedrohendes Risiko ist, lässt er nicht gelten. In einem solchen Fall „stehen die Möglichkeiten der Verfahrenshilfe offen“, sagt Zöchbauer. Dabei würden Beklagte von Gebühren befreit und ein Anwalt gestellt. In zivilrechtlichen Verfahren sei zudem der Streitwert begrenzt, bei Medienklagen mit 21.000 Euro. Die Grenzen für Entschädigungen nach dem Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz betragen 40.000 Euro, in besonders schweren Fällen 100.000 Euro. Viel Geld, aber es klingt zumindest berechenbar. Das Ganze hat aber mindestens zwei Haken, die auch Zöchbauer einräumt. Denn: „Es steht dem Kläger zu, echten Schadenersatz zu fordern“, sagt er. Wie hoch der sein soll, ist nicht gesetzlich gedeckelt. Und: Die Verfahrenshilfe trägt zwar die eigenen Verfahrenskosten, nicht aber die des Gegners. Deshalb „müssen sie bei Verlust der Klage die Kosten des Gegners tragen, das ist richtig“, sagt Zöchbauer.
„Aber wenn sie die Klage verlieren, dann war es auch keine SLAPP-Klage. Dann hat man sicher etwas falsch gemacht“, glaubt Zöchbauer. Ihn stört, dass Beklagte viel zu schnell dabei sind, ihren Gegner*innen eine Einschüchterungsklage vorzuwerfen. „Der Vorwurf von SLAPP-Klagen wird gerne verwendet, um von journalistischen Fehlleistungen abzulenken“, sagt Zöchbauer. Im Fall von OMV gegen Dossier stellte sich für das Magazin jedoch die Frage, worin ihre mögliche journalistische Fehlleistung überhaupt bestanden hätte. „Die OMV hat uns vor der Klage nicht auf einen Fehler hingewiesen“, sagt Florian Skrabal. „Sonst würden wir diesen natürlich korrigieren.“
Florian Skrabal, Dossier: War über die
Klagssumme schockiert.
Bevor Dossier seine Berichte veröffentlichte, konfrontierte es das Unternehmen mit den Vorwürfen. Die OMV habe dann unrechtmäßige Handlungen zurückgewiesen, konkrete Fragen aber nicht beantwortet. Auch nachdem die Klage zugestellt worden war, habe die OMV nicht auf Anfragen von Dossier reagiert. Die Redaktion war verunsichert: „Wenn du wirklich einen Fehler gemacht hast, überlegst du dir schon, ob du einen Prozess riskierst“, sagt Skrabal. Die Gegenseite sieht das auch heute noch ganz anders. „Die OMV stand damals in regelmäßigem Kontakt mit Dossier und hat dem Medium ihre Sicht nicht nur einmal klar dargelegt“, antwortet die Presseabteilung des Konzerns auf Anfrage von MO-Magazin. Zentrale Aspekte seien „falsch berichtet und nicht richtiggestellt worden“. Dossier- Chef Skrabal betont: „Das trifft nicht zu. Ich habe diesbezüglich nie etwas von der OMV vor der Klage bekommen.“
Obwohl die OMV auch heute noch der Ansicht ist, das Magazin habe falsch berichtet, zog sie ihre Klage im April vergangenen Jahres zurück. Der Konzern habe darauf verzichtet, die Klage fortzuführen, „weil wir kein Medium in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährden wollen“. Dabei kam es schon zuvor zu einem Gerichtstermin und die OMV hatte mit Gutachten und Anwälten „schwere Geschütze“ aufgefahren, wie Florian Skrabal es formuliert. Doch das Magazin wehrte sich außergerichtlich. Dossier machte die Klage öffentlich und startete eine Crowdfunding-Kampagne, um die zu erwartenden Prozesskosten hereinzubekommen. Andere Medien berichteten, der öffentliche Druck auf die OMV wuchs. Ein Nebeneffekt für das Magazin: Dossier gewann dabei viele weitere Unterstützer*innen.
Thomas Walach, Zackzack.at: Mit jedem Brief
vom Gericht steigt die Angst.
Permanentes Hintergrundrauschen
Die OMV zog die Klage zurück. Der Konzern bestreitet auch heute, ein SLAPP gegen Dossier versucht zu haben. „Es entspricht nicht der Unternehmenskultur der OMV, jemanden einschüchtern zu wollen“, sagt das Unternehmen. Doch es liegt auf der Hand: Keine klagende Partei würde offen eingestehen, Medien und Personen einzuschüchtern. Thomas Walach, bis vor kurzem Chefredakteur des Online-Mediums Zackzack.at, weiß anderes zu berichten. In Vier-Augen-Gesprächen sei es vorgekommen, dass „beteiligte Anwälte in großer Offenheit gesagt haben, worum es ihnen geht“. Für Walach sind laufende Verfahren ein permanentes Hintergrundrauschen. Derzeit laufen gegen ihn drei Klagen. Der Streitwert gehe in die Millionen Euro. Da kann einem schon mulmig werden. „Mit jedem Brief vom Gericht steigt die Angst“, sagt er. Er habe in den vergangenen Jahren rund ein halbes Dutzend Klagen bekommen, „bei denen es darum ging, einen Einschüchterungs-Effekt zu erzielen“, sagt er. Wie es bei solchen Klagen zu Millionenbeträgen an Streitwert kommt, erklärt er so: „Es werden so teure Gegendarstellungen eingefordert, dass es bei einer Verurteilung zu Kosten in beliebiger Höhe führen würde.“ Nicht nur im eigenen Medium müsse dann eine Gegendarstellung erscheinen, „sondern auch in anderen Medien, wo das natürlich zu bezahlen ist“.
Bei einer derzeit noch laufenden Klage habe die Richterin der ersten Instanz so argumentiert: „Wir hätten wissen müssen, dass andere Medien das aufgreifen würden und seien also dafür verantwortlich, was andere Medien veröffentlichen“, schildert Walach. Er kann das nicht nachvollziehen. „Würde das tatsächlich so gehandhabt, müssten Nachrichtenagenturen für jede korrigierte Meldung in allen Medien, die sie übernommen haben, Richtigstellungen buchen.“ Er kann sich nicht vorstellen, dass so etwas hält. Im vergangenen November wurde Walachs damaliges Medium vom Szene-Gastronom und Sebastian-Kurz-Freund Martin Ho wegen eines Berichts auf eine Million Euro Schadenersatz verklagt. Ähnlich wie die OMV argumentierte die Klagsseite, der gute Ruf Hos sei beschädigt worden. Den zu reparieren, würde eine Million Euro kosten, hieß es in einem „Gutachten“ des Kommunikationsberaters Wolfgang Rosam.
Gehe es um solche Summen, dann gehe es nicht um ein einzelnes Verfahren, das möglicherweise verloren werden kann. Dann gehe es um die Existenzen aller Personen, die für ein beklagtes Medium arbeiten. Das ist eine beachtliche Drohkulisse. Wegen angedrohter Klagen habe er noch nie einen Bericht nicht veröffentlich, sagt Walach. Und er fügt an: „Ich habe gemeinhin die Erfahrung gemacht: Je mehr jemand möchte, dass etwas nicht veröffentlicht wird, desto wertvoller ist der Bericht für die Öffentlichkeit.“
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