„Demokratie lebt von Beteiligung, nicht vom Ausschluss“
Die 17-jährige Schülerin Büsra Özcelik belegte beim Mehrsprachen-Redewettbewerb „SAG’S MULTI“ den ersten Platz. Geboren und aufgewachsen in Steyr besitzt die junge Österreicherin dennoch keinen österreichischen Pass. Gegen diesen Ausschluss engagiert sie sich. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Florian Gucher, Fotos: Karin Wasner
Habt keine Angst, dass durch meine Stimme eure Stimme an Wert verliert. Vergesst nicht, ich bin genauso eine Österreicherin wie ihr.“ Es sind berührende Worte, die die 17-jährige Schülerin Büsra Özcelik beim Mehrsprachen-Redewettbewerb „SAG’S MULTI“ in ihrer auf Türkisch wie Deutsch gehaltenen Rede zum Thema „Meine Rechte – deine Rechte – unsere Zukunft“ ins Publikum wirft. Ihre Worte machen Dinge augenscheinlich, konfrontieren einen mit Tatsachen, die nur allzu oft unter den Teppich gekehrt werden. Bewusst wie unbewusst. Und sie regen zum Nachdenken über demokratiepolitische Verhältnisse an. Nach Büsras Podiumsauftritt kann sich wohl niemand mehr aus der Verantwortung nehmen. Mit uns sprach die aus Steyr stammende Schülerin, die derzeit die Maturaklasse des Gymnasiums Werndlpark besucht, über bürokratische Hindernisse, Ungereimtheiten und Ansätze zur Bekämpfung von Diskriminierung. Das Gespräch wurde zu einem eindringlichen Appell an die Politik, das Staatsbürgerschaftsrecht zu liberalisieren.
Büsra, du lebst seit deiner Geburt in Österreich, bist hier aufgewachsen, sozialisiert und vollkommen integriert. Die österreichische Staatsbürgerschaft blieb dir aber bis dato dennoch versagt. Warum?
Die Bürokratie macht das unmöglich. Es gibt kaum ein Land in Europa, besonders in der Europäischen Union, in dem es so schwer ist, die Staatsbürgerschaft zu bekommen. Einbürgerungshürden wie ein Nachweis des Mindesteinkommens der Eltern machen es für viele hier geborene Kinder nicht einfach. Dazu kommt der finanzielle Aspekt, sprich, es ist nicht nur sehr aufwendig, sondern auch extrem kostspielig. Nicht jede Familie kann sich das überhaupt leisten. Wirklich schade, dass der Weg, ein Österreicher oder eine Österreicherin zu werden, so kompliziert ist, weil ich hier aufgewachsen bin und mich in diesem Land zuhause fühle.
Du maturierst nächstes Jahr, hast du bereits Zukunftspläne, wie es weitergehen soll?
In Zukunft sehe ich mich in der Flugbranche, weil mich die Luftfahrt sehr interessiert. Ich habe vor, nach der Matura Aviation Management zu studieren, und könnte mir sogar vorstellen, später als Pilotin zu arbeiten. Ich reise gerne und es macht mir sehr viel Spaß, neue Orte, Menschen und Kulturen kennenzulernen. Ich werde mich aber definitiv auch weiterhin für die Rechte von Minderheiten einsetzen und für Gleichberechtigung für alle kämpfen.
Fernab aller Einbürgerungsvoraussetzungen: Gibt es Situationen, die ohne die österreichische Staatsbürgerschaft schwieriger zu bewältigen sind?
Ich denke da vor allem an den Arbeitsmarkt. Leider ist es in vielen Unternehmen so, dass eine andere Staatsbürgerschaft automatisch eine Benachteiligung mit sich bringt. In diesem Sinne ist es in Österreich durchaus eine Herausforderung, eine ausbildungsgerechte Stelle zu finden. Das bereitet auch mir ein wenig Sorge. Aber auch im Studium, sowie im Privatleben gibt es Hürden.
Das heißt, Dinge, die für Österreicher* innen selbstverständlich sind, werden für dich zur Herkulesaufgabe?
Ja, das Reisen beispielsweise. Niemand denkt an die ganzen Unterlagen, die vorab nötig sind, um ein fremdes Land zu besuchen. Monatelange Behördengänge gehen dem voraus. Von vielen Bekannten habe ich auch schon von teilweise diskriminierender Behandlung in den Ämtern gehört.
Wie sieht das mit Benachteiligungen im Alltag aus?
Sie wiegen schwer und sind oftmals nicht zu unterschätzen. Wenn in der Schulklasse über die anstehenden Wahlen gesprochen wird, fühle ich mich ausgegrenzt. Ich darf ja nicht mitbestimmen, nicht mitreden, da meine Stimme nicht zählt. Das ist ein bedrückendes Gefühl.
Du wirkst sehr selbstbewusst, angesichts dieses kalten Windes. Gibt es konkrete Situationen, wo du Ängste verspürst?
Ich mache mir natürlich meine Gedanken, wie es sein wird, wenn ich mich für eine Arbeitsstelle bewerbe. Ich versuche dennoch, optimistisch in die Zukunft zu blicken und spreche öffentlich darüber, da ich etwas bewegen möchte.
Du besuchst derzeit die letzte Klasse des Gymnasiums Werndlpark in Steyr. Wird da viel über Diskriminierung und Ungleichheit gesprochen?
Wir thematisieren es immer wieder in der Klasse, beteiligen uns auch an Aktionen dagegen, indem wir beispielsweise auch die „Pass Egal Wahl für Schulen“ in unser Gymnasium geholt haben. Das ist eine gute Gelegenheit, um über das Dilemma des Wahlausschlusses offen zu diskutieren. Demokratie lebt von Beteiligung, nicht vom Ausschluss. Das soll allen klar werden. Es wird viel über das Wahlrecht und die darin verborge nen Probleme debattiert, konkrete Verbesserungsmöglichkeiten fehlen aber.
„Ich versuche, optimistisch in die Zukunft zu blicken.“
Kann das daran liegen, dass es schwierig ist, aktiv etwas dagegen zu unternehmen, was nicht in den eigenen vier Wänden verhaftet bleibt?
Absolut. Doch das ließe sich vielleicht ändern. Generell finde ich, dass diese Thematik viel stärker Eingang in den Unterricht finden sollte. Es ist wichtig, dass die Bevölkerung von klein auf ein Gespür dafür bekommt und nachvollziehen kann, dass es große Erschwernisse sind, die Menschen mit einem fremden Pass erfahren. Nur so kann es in weiterer Folge auch nach außen wirken.
Vielleicht auch in Form von öffentlichen Reden, wie Sie es beim Mehrsprachen- Redewettbewerb „Sag’s multi“ getan haben?
Nach meiner Rede habe ich im nachträglichen Gespräch mit einigen Personen gemerkt, wie stark unterrepräsentiert das Problem des Ausschlusses von Menschen ohne Staatsbürgerschaft des Landes ist. Eine Frau war durchaus schockiert und überrascht, da sie vorher nicht mitbekam, welch große Dimensionen die Benachteiligung im Alltag tatsächlich annimmt. Veranstaltungen können Akzente setzen. Es ist aber schade, dass dieses Thema nur bedingt ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und viele gar nichts von diesen Problemen wissen. Das kann und darf nicht der richtige Weg sein. Durchaus könnten die Bestrebungen der Gesellschaft größer werden, Veränderungen und Vereinfachungen einzuleiten, wäre das Thema präsenter. Die österreichische Bevölkerung sollte in erster Linie mal aufgeklärt werden, was da los ist. Ich bin überzeugt: Erst dann kann sich wirklich etwas bewegen. Und mit der Aufklärungsarbeit sollte schon früh im Kindesalter an Schulen und Bildungseinrichtungen begonnen werden.
Gemeinnützige Organisationen gehen täglich gegen Ungleichheit und Diskriminierung vor. Sind sie Wegbereiter einer besseren, harmonischen Gesellschaft ohne Ausgrenzung?
So, wie sich Organisationen, im Besonderen auch SOS Mitmensch, für Randgruppen einsetzen und Aufmerksamkeit erregen, finde ich super. Man kann sich nur wünschen, dass viel mehr Organisationen solchen Ehrgeiz zeigen.
Wie siehst du selbst dein Leben, fühlst du dich in Österreich eigentlich wohl?
Jein. Wenngleich ich mich als Österreicherin fühle und sich mein Leben nach den Regeln und Gesetzen des Landes richtet, werde ich von der Gesellschaft wie eine Ausländerin behandelt. Es ist ein immerwährender Zwiespalt, den man aufgrund der Einbürgerungsschwierigkeiten nicht lösen kann. Das Problem, bei richtungsweisenden Entscheidungen des Landes nicht mitbestimmen zu können, intensiviert dieses Gefühl noch. Politische Handlungsträ ger sollten sich bewusst werden, wie viele Millionen Menschen sie von der Mitbestimmung ausschließen. Das sind letztlich auch Stimmen, die ihnen zugutekommen könnten.
Politische Handlungsträger sollten sich bewusst werden,
wieviele Millionen Menschen sievon der Mitbestimmung ausschließen.
Sollte die Politik über die Liberalisierung des Wahlrechts für Menschen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft nachdenken? Wäre das nicht ganz im Sinne der Demokratie?
Durchaus. Wer eine lange Zeit in Österreich wohnt, ich rede da von circa 15 bis 20 Jahren, in Österreich arbeitet und Steuern zahlt, sollte das Recht haben, auch ohne Staatsbürgerschaft an den Wahlen teilnehmen zu dürfen. Denn das sind Entscheidungen, die jeden und jede Einzelne ganz unabhängig von der Staatsbürgerschaft treffen, doch viele dürfen schlichtweg nicht daran partizipieren.
Immer wieder werden Familien mit Kindern abgeschoben, die hier aufgewachsen sind. Wie beurteilst du dieses Vorgehen, ist das überhaupt zu rechtfertigen?
Ich finde das inakzeptabel und ziemlich traurig, wie die Chancen von jungen Menschen eingeschränkt werden. Jeder verdient es, sich seine Zukunft so zu gestalten, wie er es möchte, ohne jegliche Hindernisse. Anstatt direkt von einer Abschiebung zu reden, könnte man sich andere Wege ausdenken, wo beide Seiten profitieren.
Wenn du an deine eigenen Erfahrungen denkst, was würdest du Menschen ohne österreichischen Pass auf den Weg mitgeben? Zum Beispiel, was den Umgang mit erfahrenen Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen betrifft?
Menschen ohne österreichischen Pass kann ich nur raten, dass sie sich für ihre Rechte einsetzen und auch dafür kämpfen. Wenn wir alle die Realität mit anderen teilen und ihnen zeigen, was für Hürden und Erschwernisse es mit sich bringt, die Staatsbürgerschaft nicht zu besitzen, können wir auch etwas für alle bewirken. Meine Wünsche für die Zukunft sind es, dass keiner diskriminiert wird und jeder gleichbehandelt wird, ohne darauf zu achten, welche Hautfarbe, Religion, etc. die Person hat. Abgesehen davon wünsche ich mir Solidarität mit Menschen in Not – wenn wir uns nicht gegenseitig helfen können, werden wir nie in Frieden leben.
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