Finger weg von unseren Rechten!
In einem von der Theater- und Filmemacherin Tina Leisch initiierten Projekt haben österreichische Jugendliche mit Jugendlichen aus Kamerun, Mexiko, Rojava u. a. gemeinsam Kurzfilme zum Thema Kinderrechte erarbeitet. Dabei wurde auch viel über unterschiedliche Lebensrealitäten berichtet. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Beverly Mtui, Fotos: Die Schweigende Mehrheit
Hip Hop als gemeinsame Sprache für Erfahrungsaustausch und Protest gegen patriarchale Verhältnisse.
„Wir sollten allen Kindern Respekt entgegenbringen, denn sie werden unsere Zukunft gestalten. Wir fordern alle Regierungen auf, aufgeschlossen zu sein und sich für unsere Rechte einzusetzen!“ So tönt es im Rap von sieben Jugendlichen aus Linz und Nairobi, die gemeinsam an einem Musikvideo gearbeitet haben. Der Track heißt „Violence Around the World“ und die Jugendlichen berufen sich darin auf Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention „Recht auf Schutz vor Gewalt“. Ziel ihrer Performance ist es, mehr Aufmerksamkeit für die Forderung nach Chancengleichheit für alle Kinder auf der Welt zu bekommen.
Davon ist man in der Realität weit entfernt. Es ist eine ungewöhnliche Kooperation über Kontinente hinweg, zwischen Jugendlichen der Berufsschule Linz und dem Vocational Center Mukuru, einer Berufsschule in Nairobi in Kenia. Entstanden ist das Video im Rahmen eines höchst interessanten Projekts, das Schüler*innen global vernetzt und für gemeinsame künstlerische Arbeiten zusammengeführt hat. So haben etwa Jugendliche aus dem Senegal und aus Äquatorialguinea mit der HAK Eferding und mit der HAK Traun in Oberösterreich Kurzfilme erarbeitet, in denen es um Kinderrechte geht.
Gegen Patriarchat, für Schulbildung
Ausgedacht hat sich das Projekt „Don’t Mess with my Rights!“ die Film-, Text und Theaterarbeiterin Tina Leisch. Ihr Ziel: Kinderstimmen Gehör zu verschaffen. Bereits 2020 und 2021 haben österreichische Kinder und Jugendliche mit Gleichaltrigen u. a. in Kamerun, in Mexiko, auf den Philippinen und in Rojava (das ist die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien) zusammengearbeitet. Manche der Themen beschäftigen die Jugendlichen in verschiedenen Weltgegenden gleichermaßen. Etwa das Problem der Benachteiligung von Mädchen, denen auch ganz alltägliche Dinge verwehrt werden, wie zum Beispiel das Recht darauf, Fußball zu spielen; oder welche Mittel es gibt, um sich gegen patriarchal und despotisch herrschende Familienväter durchzusetzen.
Etwas, das die Jugendlichen weltweit umtreibt, egal, in welcher Region sie leben, ist die Sorge über den Klimawandel und die ökologischen Verheerungen durch Plastikmüll. Zwar sind die Auswirkungen des Temperaturanstiegs und die Häufung von Extremwettern global, aber sie werden regional besonders große Auswirkungen haben. Idee des Projekts war aber auch, wie Tina Leisch erzählt, dass die Jugendlichen über die Lebensrealitäten anderer Jugendlicher in der Welt im direkten Kontakt etwas erfahren können. So waren österreichische Kinder überrascht, dass es in kurdischen Flüchtlingslagern in Rojava oft gar kein Wasser gibt, weil die Türkei die Wasserzufuhr einfach abriegelt. Dabei kamen auch Themen zur Sprache, die nicht leicht zu verarbeiten sind, etwa wenn von Geschlechtsverstümmelungen an Mädchen in Kamerun erzählt wurde, oder dass viele Kinder in Mexiko keine Chance auf eine ausreichende Schulbildung erhalten. Manche der Situationen haben auch die betreuenden Filmemacher*innen herausgefordert.
Tipps von Profis
Entstanden sind die Filme in den vergangenen drei Jahren im Rahmen des interkontinentalen Videoworkshops des Vereins „Die Schweigende Mehrheit“. Realisiert wurde das Projekt mit digitalen Kommunikationstools, erzählt Projektkoordinatorin Suzie Léger. In jeder Kooperation gab es vier Arbeitsgruppen von sechs bis acht Jugendlichen aus zwei Ländern, die sich regelmäßig über Zoom in den virtuellen Gruppenräumen trafen.
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Österreichische Kinder waren überrascht, dass es in kurdischen
Flüchtlingslagern oft gar kein Wasser gibt.
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Professionelle Filmemacher*innen haben dabei die Jugendgruppen unterstützt, gemeinsam ein Filmkonzept über Kinderrechte zu erarbeiten. Der Schwerpunkt lag auf der Kommunikation und Gruppenarbeit unter den Kindern selbst, erzählt Suzie Léger. Sobald die Konzepte ausgearbeitet waren, ging es darum, sich ein passendes Genre auszusuchen, um die Ideen zu verwirklichen. Die einen drehten ein Musikvideo, die anderen einen narrativen Kurzfilm oder einen Dokumentarfilm, und es sind sogar Animationsfilme entstanden. Für viele war es in so einem Zusammenhang der erste praktische Kontakt mit dem Medium Film. „Drehen zu gehen, als Interviewer die Expert*innen zu befragen, das war sehr spannend“, erzählt Narin Rinmoonsun Raymelissamalia von der Kinderfresser-Theatergruppe. „Und weil wir schon so einen langen Fragenkatalog gemeinsam mit den Jugendlichen in Mexiko ausgearbeitet hatten, waren wir dann gar nicht sehr nervös. Auch wenn wir dann eigentlich viele Fragen vergessen haben, weil das Gespräch ganz von selber weiter gegangen ist.“ Digitale Medien mit professioneller Betreuung nutzen fand auch Melda Aciköz spannend: „Es war für mich das erste Mal, dass ich eine Regisseurin, Kamerafrau und Drehbuchautorin getroffen habe. Sie haben uns durch das ganze Projekt begleitet und es ist schon toll, von Profis die Tipps zu bekommen.“ Melda ist eine Schülerin an der Berufsschule für Verwaltungsberufe der Stadt Wien.
Gemeinsam haben Jugendliche Videofilme erarbeitet. Das soll Solidarität und Verständnis stärken.
Digitale Kommunikation: nicht immer leicht
Diese Form der internationalen digitalen Kommunikation und Kooperation bringt viele Vorteile mit sich. Dass Kinder und Jugendliche aus aller Welt im Rahmen des Projekts zusammenkommen, um sich mit vereinten Kräften ein eigenes Sprachrohr zu schaffen und sich für die eigenen Rechte einzusetzen, ist nicht nur ermächtigend, sondern stärkt auch die Solidarität und das Verständnis für andere Kulturen und Kontexte. Dennoch gibt es bei so einem Projekt auch einige Herausforderungen.
Tina Leisch erzählt, dass es wichtig ist, nicht in Stereotypien zu verfallen. Ihr ging es im Projekt vor allem darum, dass sich die Kinder und Jugendlichen aus verschiedenen Weltgegenden als Bürger*innen derselben Welt begreifen. Und auch wenn die Kinderrechte in einigen Ländern weniger geschützt sind als in anderen sollten sich alle Kinder als Subjekte derselben Rechte empfinden, jenseits von stereotypen und hierarchischen Ansätzen und mit Fokus auf einer horizontalen Ebene der Zusammenarbeit. „Dass die Jugendlichen selber herausfinden, was besser gemacht werden könnte, das ist für mich das Wichtigste“, betont Tina Leisch.
So besonders die interkulturelle Kommunikation innerhalb des Projekts auch ist, so birgt sie auch ihre Tücken. „Mit Menschen digital zu kommunizieren, deren Sprache man nicht spricht, ist natürlich schon eine Herausforderung.“ Die Zusammenarbeit mit den Kindern und Jugendlichen gelingt aber trotzdem. Die Kooperationen mit den Kindern und Jugendlichen ergeben sich laut Tina Leisch per Zufall. Ausgangspunkt waren österreichische Schulen, wo Lehrer*innen mit ihren Schulklassen sich für das Projekt interessierten. Anschließend wurden Kooperationspartner*innen aus allen Weltgegenden gesucht, die sich durch persönliche Kontakte der Filmemacher*innen, aber auch durch Empfehlungen ergaben. Die Kollaboration in Kamerun hatte etwa die Buchhandlung und der Verein AFRIEUROTEXT ermöglicht, dessen Bildungsprojekt in der kamerunischen Hauptstadt Jaunde als Projektpartner empfohlen wurde. Die Projektpartner* innen von den Philippinen und aus Kenia wurden von der Dreikönigsaktion, dem Hilfswerk der Katholischen Jungschar, vermittelt.
Ohne digitale Medien wäre das Projekt nicht möglich gewesen.
Unten: Mädchen thematisieren, dass ihnen das Recht, Fussball zu spielen, verwehrt wird.
Spannende Songtexte
Wie die praktische Arbeit so eines Projekts aussieht, davon konnte sich die Autorin selbst ein Bild machen. Die Jugendlichen der Berufsschulen in Linz und Nairobi öffneten die digitalen Türen ihrer Gruppenräume und erlaubten einen Einblick in ihren Workshop. Die Jugendlichen sprechen auf Englisch und überlegen, wie sie das Musikvideo zu „Violence around the World“ gestalten, das schon zu Beginn erwähnt wurde. Die Gruppe hat nach und nach gemeinsam einen Text verfasst, der sowohl auf Deutsch als auch auf Swahili eingesprochen wird, mit englischen Übersetzungen. In ihre Texte verpacken die Jugendlichen ihre Kritik. Sie thematisieren den ambivalenten Umgang mit Flüchtenden aus unterschiedlichen Ländern; die Notwendigkeit, geschlechtsspezifische Gewalt zu stoppen; und sie fordern den Zugang zu chancengerechter und hochwertiger Bildung für alle. In dem Hip-Hop-Track rappen die Schüler*innen über ihre Erfahrungen von physischer und psychischer Gewalt in der österreichischen bzw. kenianischen Gesellschaft. Sie stellen dabei Themen wie die Flüchtlingspolitik, geschlechterspezifische Gewalt, politische Hierarchien und freie Bildung ins Zentrum. Sie beziehen sich sowohl auf Kinderrechte als auch auf Menschenrechte und ziehen Regierungen zur Verantwortung.
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Die Gruppe hat nach und nach einen Text verfasst, der
sowohl auf Deutsch als auch auf Swahili eingesprochen wird.
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„Wir fordern alle Regierungen auf, aufgeschlossen zu sein und sich für unsere Rechte einzusetzen“, schreiben die Jugendlichen. Die Songtexte zeigen klar auf, dass es in beiden Ländern einen Mangel an Gewaltprävention gibt. Auffällig ist, mit welcher Offenheit die Kinder an dem Kurs teilnehmen und wie viele spannende Geschichten sie aus ihrem Leben erzählen, die teilweise auch sehr intim sind. Filmemacherin Katharina Simunic, die den Kurs begleitet hat, sagt: „Meiner Ansicht nach braucht es generell mehr zwischenmenschliche Gespräche mit Kindern und Jugendlichen, die auf ihre Ängste, Erfahrungen und Probleme im Alltag eingehen.
Der länderübergreifende Filmworkshop ist ein kreativer Schlüssel zur Stärkung der Selbstwahrnehmung und eine gute Abwechslung zum Frontalunterricht.“ Ganz klar im Vordergrund stehen die Stimmen, Worte und Ideen der Jugendlichen selbst, was sich auch in den Filmkonzepten widerspiegelt. „Es ist natürlich spannend zu sehen, wie wir mit den Filmkonzepten umgehen und was dabei herauskommt,“ sagt Tina Leisch resümierend: „Die Jugendlichen denken sich etwas aus und wir als professionelle Filmemacher*innen begleiten sie dabei, es filmisch umzusetzen.“
Am Schluss haben jedoch die Jugendlichen das letzte Wort, was die Gestaltung der Filme anbelangt. Was die Jugendlichen im Rahmen der Kollaboration alles erarbeitet haben und wie das Thema Kinderrechte durch Jugendaugen umgesetzt wurde, kann im Dezember gesichtet werden: Am 5. Dezember um 11 Uhr im Topkino im Rahmen des „this human world“-Filmfestivals in Wien und am 6. Dezember um 18 Uhr im Moviemento- Kino in Linz.
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