Neues aus der Parallelgesellschaft
Österreichische Muslime werden oft als religiöse Fanatiker oder als Parallelgesellschafter portraitiert, den Durchschnitt sucht man vergeblich. Ein persönlicher und humorvoller Blick auf den Alltag einer wienerisch-muslimischen Suderantin. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Nour El-Houda Khelifi
Als migrantische Person macht man sich erst recht Gedanken über das eigene Aussehen und mögliche Konsequenzen davon, wenn man sich das erste Mal auf den Arbeits- markt wagt. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich frisch von der Matura Bewerbungen rausgeschickt und mich teilweise gewundert habe, wieso nur Absagen oder gar keine Antworten zurückkamen. Ich hatte bis dato nur we- nige diskriminierende Erfahrungen aufgrund meines Kopftuchs gemacht, sodass ich nicht wirklich ein Gefühl da- für hatte, wie meine Erscheinung oder besser gesagt das Kopftuch auf andere Menschen wirkt. Schließlich war es für mich das Normalste der Welt. Ich wurde aber eines Besseren belehrt. Mit dem Einstieg in die Arbeits- und Uni- welt musste ich lernen, wie Vorurtei- le sich äußern. Davor war ich noch in dem „geschützten“ Raum Schule. Auf der Uni, bei einem Aushilfsjob und mit dem Einstieg in den Journalismus erlebte ich aber ein Ausmaß an Alltagsrassismus, den mein junges, naives Ich damals schwer begreifen konnte. Niemand kann dich auf solche Situationen vorbereiten.
Identitäts-Bingo
Ich war 19 Jahre alt, als ich mit dem Journalismus in Wien angefangen habe und hatte das romantisierte Bild von gebildeten, aufgeschlossenen und weltoffenen Menschen, abgesehen vom Boulevard. Sie können sich also vorstellen, wie geschockt und klein ich mich gefühlt habe, als ich mit dieser gar nicht aufgeschlossenen Blase konfrontiert wurde. Es wurde de facto Bingo mit meinen vermeintlichen Identitätszuschreibungen gespielt. Ich war die Türkin, ich war ein geflüchteter Mensch, ich war die, die kein Deutsch spricht, die auf Englisch angesprochen wurde. Die, die als Putzkraft angesehen wurde oder vom Cateringservice, die sich in der Etage vertan hatte. Ich war alles, nur keine österreichische Journalistin. Schubladendenken haben wir alle, mich eingeschlossen. Aber wie schnell ich da in Schubladen gesteckt wurde, bevor überhaupt nach meinem Namen gefragt wurde, war verletzend. Umso größer war der Schock auf der Gegenseite, wenn man realisiert hat, dass ich wirklich und zu 100 Prozent die neu eingestellte Redakteurin war. Wie lange ich belächelt wurde, weil einige Kolleg*innen davon ausgingen, dass ich nur als Praktikantin hier bin, bisschen Journalistenluft schnuppern und dann wieder zurück in mein belangloses Leben. Auch hier können Sie sich wieder vorstellen, wie groß die Augen und der Neid wurden, als ich renommierte Prei- se und Auszeichnungen für meine journalistische Arbeit erhalten habe.
Ich weiß, es ist 2022. Aber es ist fast zehn Jahre nach meiner Matura noch immer nicht selbstverständlich, dass jemand, der wie ich oder eben nicht österreichisch-autochthon aussieht, in gewissen Branchen toleriert, geschweige denn akzeptiert wird. Ich kann mir diese Frage selbst auch nicht beantworten, weil ich nicht ganz nach- vollziehen kann, warum man gewisse Szenen so exklusiv halten möchte. Die- selben Gesichter, Namen und Perspektiven – jahrzehntelang. Wäre doch viel spannender, wenn ein bisschen Konkurrenz reinkommt, mit frischen Ide- en, Mindsets und Blickwinkeln. Widerrede und Diskussionen sind Dünger für Anregungen, Horizonterweiterungen und spannende, gesunde Diskurse. Das könnte der österreichische Journalismus auf jeden Fall gut vertragen.
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