Verschwörung gegen sich selbst
Ich werde rot wie eine Tomate. Oder ich geniere mich versteckt. Selber schuld. Gefühle sind persönlich. Sie gehören mir. Ich drücke Play. „Wir sind viele, jeder einzelne von uns“, hält die Band Tocotronic auf ihrem aktuellen Album da dagegen. Scham ist ein soziales Gefühl, entsteht und gehört nicht nur mir persönlich. Nicht nur selber Schuld. Demütigen, lächerlich machen, Beschämen – all das ereignet sich in einem sozialen Raum, in dem es stets ein Unten und ein Oben gibt, und immer auch ein Drinnen und ein Draußen.
Scham Ich sehe mein Ansehen bedroht. Ich fürchte mein Gesicht zu verlieren. Ich schäme mich. „Meine Scham ist ein Geständnis“ (Sartre). Selber Schuld? Soziale Scham fordert dazu auf, eine Erklärung für den Sinn der Verletzung zu ergründen, die man zuvor erfahren hat. Und schon gehört das Gefühl mir nicht mehr allein. Das vermuten auch die Herren von Tocotronic: „Verschwör dich gegen dich“, stimmen sie doppelbödig an. Damit der Akt der Scham seinen Zweck erreicht, muss für den beschämenden Mangel die Verantwortlichkeit auf die beschämte Person selbst übertragen werden. Beschämung ist die subtilste Form, sich anderer zu bemächtigen, weil die Kriterien der eigenen Selbstachtung dann von Dritten abhängig werden.
Beschämung ist eine soziale Waffe. Sie hält Menschen klein und rechtfertigt die Bloßstellung und Demütigung als von den Beschämten selbst verschuldet. Eine außengeleitete Verschwörung gegen sich selbst. Very tricky. Beschämung hat zum Beispiel direkte Auswirkungen auf das unterste soziale Netz; auf die Sozialhilfe, die Notstandshilfe, und ist dort ein bestimmender Faktor. Nur 40 Prozent aller Hilfesuchenden nehmen die Sozialhilfe in Anspruch, obwohl sie ein Recht darauf hätten und sie auch bräuchten.
Schaut so aus, als wären die Gefühle nicht mit uns allein. „So etwas wie ein guter Rat, wer Ich sagt, hat noch nichts gesagt“, singen die Tocos. Ich drücke Stop. Wir sind viele. Jeder einzelne von uns.