Wohin soll es gehen?
Eine Politik, die keine klaren Ziele erkennen lässt, schafft Raum für den Aufstieg der extremen Rechten. Kommentar: Alexander Pollak, Illustration: Petja Dimitrova
Vor der Ernennung von Christian Kern als neuen Bundeskanzler wirkte es so, als wären die Tage dieser Bundesregierung gezählt. Alles deutete darauf hin, dass es bald Neuwahlen und dann eine andere Regierung gibt. Jetzt scheint noch einmal eine Wende möglich. Dennoch sollten wir uns damit beschäftigen, wie diese Regierung den Aufstieg der extremen Rechten befördert hat. Es ist kein Zufall, dass gerade in letzter Zeit immer öfter die Frage gestellt wurde, worin sich die jetzige rot-schwarze Bundesregierung eigentlich noch von einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung unterscheidet. Rot-Schwarz setzt auf Abschottung. Sie baut Grenzbefestigungen. Sie befristet das Asylrecht. Sie kappt die Familienzusammenführung. Sie installiert Asylschnellverfahren. Und sie beschließt ein Notstandsgesetz, das sogar beim sonst so zurückhaltenden UN-Flüchtlingshoch-kommissariat Entsetzen hervorruft. Weil es das Recht, überhaupt einen Asylantrag stellen zu können, aushöhlt. Die Regierung ist damit auf drastische Weise zu einer Politik der Flüchtlingsabwehr zurückgekehrt. Auch innerhalb Österreichs sollen nun Gräben gezogen werden. Teile der Bundesregierung und einige Landesregierungen arbeiten auf den sozialen Ausschluss von Geflüchteten hin. Asylberechtigte sollen nicht mehr die volle Mindestsicherung erhalten. Wenn sie mittel- und arbeitslos sind, sollen sie in tiefe Armut verbannt werden. Und dennoch gab es eine beispiellose Abfuhr für die Kandidaten der Regierungsparteien bei der Bundespräsidentenwahl. Oder gerade deswegen? Denn die hektische Verschärfungspolitik der vergangenen Wochen unterscheidet sich in einem Punkt nicht von der Politik der Flüchtlingsaufnahme der Monate davor: und zwar in puncto Ziellosigkeit.
Klares Profil wäre nötig
Niemand weiß, wohin diese Regierung genau steuern will. Niemand weiß, wann genügend Menschenrechte ausgehöhlt, genügend Härten gesetzt wurden. Niemand weiß, ob die Willkommenskultur, die Integrationsstaatsekretär Sebastian Kurz vor zwei Jahren noch eingefordert hat und die der Außen- und Integrationsminister Kurz heute ablehnt, irgendwann nicht doch wieder als nützlich angesehen wird. Mit einer Wendepolitik, die sich nach Stimmungslagen und nach dem Druck von Boulevardmedien und FPÖ richtet, kann die Regierung nicht punkten. Sie transportiert damit lediglich eines: Unsicherheit. Um überhaupt Zuspruch erhalten zu können, müsste die Regierung erst einmal ein klares Profil entwickeln, das man befürworten oder ablehnen kann. Sie müsste Ziele formulieren. Sie müsste deutlich machen, worin sie sich von der Opposition und insbesondere vom rechten Rand unterscheidet. Sie müsste auch abstecken, welche roten Linien sie keinesfalls zu überschreiten bereit ist; welche Menschenrechte und Sozialrechte unantastbar sind. Zu einem klaren Profil würde auch gehören, dass die Bundesregierung das Mögliche und das Unmögliche kommuniziert. Wenn etwa der neue Innenminister Wolfgang Sobotka sagt, „straffällige Asylsuchende haben bei uns nichts verloren“, dann weckt er die falsche Erwartung, dass nunmehr alle straffälligen Asylsuchenden ohne Wenn und Aber außer Landes gebracht würden. Das ist jedoch nicht nur ein menschenrechtlich fragwürdiges Ansinnen, sondern in der Praxis unmöglich. Ohne ein Land, das zur Aufnahme bereit ist, wird es keine Abschiebung geben. Falls aber ein Land bereit ist, dann muss sichergestellt sein, dass dem Betroffenen dort keine schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen drohen. Unmöglich ist auch, dass alle Schutzberechtigten binnen kürzester Zeit einen Job finden. Der Ausschluss von Schutzberechtigten von der regulären Mindestsicherung muss somit unweigerlich katastrophale soziale Folgen zeitigen, von Armut bis hin zu Kriminalität. Vielleicht bekommt diese Regierung noch eine Chance. Aber dazu muss sie klar sagen, was gehen kann, und vor allem, wohin es gehen soll. Nicht nur im Umgang mit Geflüchteten.
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