Mindestsicherung unter Beschuss
Reinhold Mitterlehner verdient 733 Euro brutto – am Tag. Ich will ihm nichts wegnehmen. Aber wissen PolitikerInnen, was es heißt, von 320 bzw. 520 Euro im Monat zu leben? Text und Fotoreportage: Alexander Pollak
Angriffe gegen die 2010 eingeführte Mindestsicherung gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Seit Anfang dieses Jahres gibt es nun konkrete Bestrebungen mehrerer Landesregierungen und von Teilen der ÖVP, die Mindestsicherung zu kürzen. In Niederösterreich, im Burgenland, in Salzburg und der Steiermark wurden subsidiär Schutzberechtigte inzwischen von der Mindestsicherung ausgeschlossen. Subsidiär Schutzberechtigte sind Personen, die zwar keinen Asylstatus erhalten haben, aber dennoch als schutzwürdig erachtet werden, weil ihnen in ihrem Herkunftsland Gefahr für Leib und Leben droht. In Oberösterreich will die Landesregierung auch Asylberechtigte von der regulären Mindestsicherung ausschließen. Anfangs hieß es, Asylberechtigte sollten nur noch 320 Euro im Monat erhalten, inzwischen will man ihnen maximal 520 Euro im Monat zugestehen. Der reguläre maximale Mindestsicherungssatz liegt in Oberösterreich bei 914 Euro für eine erwachsene Person. Darüber hinaus wollen ÖVP und FPÖ sowohl in Oberösterreich als auch im Bund eine Deckelung der Mindestsicherung für Mehrkindfamilien. Maximal 1.500 Euro im Monat soll eine Familie erhalten. Für mittellose Familien mit mehr als zwei Kindern wäre das der Weg in bittere Armut. Inzwischen hat sich in Oberösterreich eine von mehr als 40 Organisationen unterstützte Protestbewegung unter dem Motto „Hände weg von der Mindestsicherung!“ gebildet. Auch SOS Mitmensch hat Aktionen gesetzt, um den Sozialabbau zu stoppen. Zahlreiche Menschen, darunter auch ÖVP-Mitglieder, sind dem Aufruf gefolgt, ein persönliches Schreiben an den oberösterreichischen Landeshauptmann zu richten.
Politik mit Anstand?
Darüber hinaus habe ich verantwortliche PolitikerInnen wie Finanzminister Hans- Jörg Schelling, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Integrationsminister Sebastian Kurz, ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, Ex-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und den niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll direkt mit der Sozialfrage konfrontiert. Mit dem Schild – „Bevor ich als Politiker die Mindestsicherung auf weniger als die Hälfte kürze, halbiere ich mein Gehalt.“ – will ich sagen: Ein Politiker, der auch nur ein wenig Anstand besitzt, muss alles dafür tun, um zu verhindern, dass bei denjenigen gekürzt wird, die am Wenigsten haben. Zuerst wurde eine Kürzung auf 320 Euro im Monat für Asylberechtigte diskutiert, später maximal 520 Euro. Mit diesen Beträgen habe ich die PolitikerInnen konfrontiert. Mein Eindruck: Schelling, Pröll, Kurz, Mitterlehner und viele andere machen sich schon sehr lange keine Gedanken mehr darüber, was es heißt, von einigen hundert Euro im Monat zu leben. Mitterlehner verdient zum Beispiel 733 Euro brutto – am Tag. Ich will ihm nichts wegnehmen. Aber ich finde es nicht gut, wenn jemand, der so viel an nur einem Tag verdient, leichtfertig über Menschen regiert, die vom gleichen Betrag nahezu ein ganzes Monat leben müssen.
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