Da ernte ich Komplimente
Nach einer langen Verletzungspause ist Veli Kavlak wieder fit. Der 27-Jährige steht mit Beşiktaş Istanbul vor dem Gewinn der Meisterschaft und unter Marcel Koller vor dem Sprung in den EM-Kader. Ein Gespräch mit dem türkischstämmigen Spieler der österreichischen Nationalmannschaft über den Unterschied zwischen Wien und Istanbul, die fehlende Playstation, seine Türkisch-Kenntnisse und Zäune an der österreichischen Grenze. Interview: Stefan Kraft
Wie geht es Ihrer verletzten Schulter?
Der Schulter geht es gut. Es war eine lange Leidenszeit. Ich könnte jetzt eigentlich schon spielen.
Können Sie sich erinnern, wo Sie zum ersten Mal Fußball gespielt haben?
Im Stöberpark im 16. Bezirk. Ich habe in der Römergasse gewohnt und gleich daneben war der Park, wo ich von der Früh bis zum Abend Fußball gespielt habe. Bis zum 8. Lebensjahr bin ich in Hernals aufgewachsen und nachher nach Floridsdorf übersiedelt.
Sie sind in Wien geboren?
Ja, schon mein Opa ist als Gastarbeiter nach Wien gekommen.
Wart Ihr mehrheitlich Kinder von Migranten in eurer Fußballrunde im Stöberpark?
Eigentlich nur. Serben, Kroaten, Türken, bunt gemischt. In Floridsdorf war es ähnlich. Dort habe ich mit dem Marko Arnautovic gekickt, im Maria-Schul-Park. Wir waren eigentlich nur Ausländer, bis auf ein oder zwei Ausnahmen.
Haben Sie eine Erklärung, warum „österreichische“ Kinder so ungern Fußball spielen und die „Ausländerkinder“ so gerne?
Die österreichischen Kinder sitzen lieber vor dem Computer. Wir haben damals so etwas nicht gehabt, auch keine Playstation, das haben sich meine Eltern nicht leisten können. Deswegen waren wir immer draußen und haben das gemacht, was wir lieben. Das war der einzige Ausweg. Mit sieben Jahren bin ich zu Rapid gekommen. Da waren mehr Österreicher als Migrantenkinder, da war das Verhältnis anders.
War es ein Zufall, dass Sie als türkisches Kind zu Rapid gekommen sind, oder hat sich Rapid um diese Einwanderergruppe bemüht? Später haben ja auch Korkmaz, Kayhan und Pehlivan bei Rapid gespielt.
Mein Vater liebt Rapid und er wollte unbedingt, dass ich dort spiele. Wenn in Österreich, dann für Rapid. Die anderen türkischstämmigen Spieler sind eher über das Scouting-System gekommen. Die besten Spieler kommen zum besten Verein und Rapid ist eben der beste, der größte Verein in Österreich.
Die erwähnten Spieler sind ebenso wie Sie alle im Lauf ihrer Karriere in die Türkei gewechselt. Warum sind Sie in die Türkei gegangen?
Weil Beşiktaş einer der drei großen Klubs ist, die haben 25 Millionen Fans, das hat schon was. Zu einem türkischen Mittelständler wäre ich wahrscheinlich nicht gewechselt. Aber als ich von Beşiktaş angesprochen wurde, haben hier Guti, Quaresma und Simão gespielt, das waren ja Weltstars. Da habe ich mir gesagt, diese große Chance muss ich nutzen.
Hat es nicht auch damit zu tun gehabt, dass Sie sich als Türkischsprachiger leichter einleben können bei einem Istanbuler Verein als z.B. bei Hertha BSC oder Stoke City?
Überhaupt nicht. In meiner Anfangszeit inIstanbul habe ich mir sehr schwer getan. Es war eine ganz andere Welt für mich.
Weil die Istanbuler Vorurteile gegenüber den Gastarbeitern hegen?
Nein, das war nicht das Problem. Aber ich bin mit einer anderen Mentalität in Wien aufgewachsen, da musste ich mich anpassen und hatte am Anfang meine Schwierigkeiten damit. In Istanbul sprechen die Menschen ein sehr schönes, gepflegtes Türkisch. Wir in Wien reden ein anderes Türkisch. Wie ich nach Istanbul gekommen bin, habe ich nur die Hälfte verstanden. Ganz zu Beginn hat mir der Verein eine Kreditkarte gegeben und gemeint, ich soll die Bank anrufen und den Code erfragen. Aber ich habe kein Wort verstanden, was die Frau am anderen Ende der Leitung gesagt hat. Da mussten die Funktionäre mir weiterhelfen. Vor einem halben Jahr war ich in Deutschland zur Therapie. Da bin ich in einen Kebab-Laden gegangen und habe auf Türkisch bestellt. Der Verkäufer hat dann gemeint, ich komme sicher aus Istanbul oder Izmir.
Fällt Ihre neue Aussprache auch Ihren Verwandten und Freunden in Wien auf?
Ja, da ernte ich einige Komplimente.
Was würden Sie eher als Weltstadt bezeichnen: Wien oder Istanbul?
Istanbul, keine Frage. Es ist hier immer was los. In Wien merkst du, wenn Sonntag ist, dann ist alles zu. In Istanbul merkst du das nicht. Das ist wirklich eine Weltstadt.
Gefällt es Ihnen in Wien besser oder in Istanbul?
Beides hat seine Vor- und Nachteile. Aber ich bin in Wien aufgewachsen, deshalb wird diese Stadt immer Nummer Eins bleiben. Das ist so, wenn man wo verwurzelt ist.
Zurück zu Beşiktaş: Haben Sie eigentlich mitbekommen, dass der führende Fanklub vor Kurzem vor Gericht stand wegen des Vorwurfs eines geplanten Staatsumsturzes?
Am Rande haben wir das mitbekommen, aber Details dazu kenne ich nicht. In der Mannschaft haben wir auch nicht darüber geredet.
Wie ist Ihr Verhältnis zu den Fans?
Es ist schon viel passiert, deswegen bin ich etwas distanziert. Es gibt auch keine Fanklub-Treffen, wie das bei Rapid der Fall war. In Österreich läuft alles friedlich ab, aber in der Türkei ist für die Leute Fußball alles im Leben, das merkt man jede Sekunde. Vor kurzem bin ich auf der Straße gegangen und ein Mann hat mich gefragt, ob wir denn Meister werden, er muss schon jede Woche zum Psychologen.
Die Türkei wird in den österreichischen Medien zuletzt häufig erwähnt: einerseits wegen Erdogan, andererseits wegen der Flüchtlingskrise. Sind Ihnen die Neuankömmlinge aus Syrien schon aufgefallen?
Ich bekomme da nicht viel mit.
Verfolgen Sie die Debatten in Österreich? Ihr Großvater ist auch einst eingewandert, derzeit werden die Grenzen wieder zugesperrt.
Ich habe dazu eine eigene Meinung. Die Leute kommen nicht, weil es ihnen in Österreich so viel Spaß macht. Sondern weil in ihrem Heimatland Krieg herrscht. Und ich kann es nicht verstehen, wenn man diese Leute nicht hineinlässt.
Sind Sie praktizierender Moslem?
Ja.
Die Debatte zum Islam in Österreich ist ja mittlerweile so weit gediehen, dass der Herausgeber einer Tageszeitung für das Verbot dieser Religion eintritt.
Ja, was soll ich zu dem sagen. Wenn er sowas sagt, hat er eh schon verloren.
ZUR PERSON: Veli Kavlak
Veli Kavlak kam am 3. November 1988 als Sohn türkischstämmiger Eltern in Wien auf die Welt. Schon sein Großvater war als Gastarbeiter nach Wien migriert. Aufgewachsen in der Römergasse in Hernals, begann er als Kind über der Bezirksgrenze im Ottakringer Stöberpark zu kicken. Kavlaks erstes Engagement bei einem Verein währte nicht lange: Nach nur zwei Tagen bei Post SV holte ihn der SK Rapid Wien in den Nachwuchs. Bis 2004 spielte er in den Nachwuchsmannschaften, ab dann in der Kampfmannschaft und debütierte mit 16 Jahren in der österreichischen Bundesliga. Mit Rapid wurde er sowohl 2005 wie 2008 Meister, verpasste aber die Heim-EM 2008 wegen einer ersten Schulteroperation. Ein Jahr zuvor holte er mit der österreichischen U-20-Mannschaft den 4. Platz bei der Weltmeisterschaft in Kanada. Daraufhin wurde der deutsche Verein Hertha BSC auf ihn aufmerksam, ein Wechsel scheiterte aber an der Weigerung Rapids, den Mittelfeldspieler gehen zu lassen. 2011 gelang Veli Kavlak der Sprung ins Ausland, als er zu Besiktas Istanbul wechselte, einem der drei großen Istanbuler Fußballvereine. Bei Besisktas wurde er zum zentralen Spielmacher im Mittelfeld, ab dem Sommer 2012 traten aber neuerliche Probleme mit der Schulter auf, die ihn zu mehreren Operationen und Spielpausen zwangen. In der Saison 2015/16 spielte er bislang nur eine Minute in der türkischen Liga, kam aber zu ersten Einsätzen nach einer langen Verletzungspause in mehreren Cup-Partien. Kavlak ist neben Yasin Pehlivan, Ümit Korkmaz, Tanju Kayhan – alle in Wien geboren – Teil der „türkischen“ Generation bei Rapid: Mit Ümit Korkmaz holte er 2008 den Meisterteller und spielte in den Folgejahren noch mit Pehlivan und Kayhan zusammen. Korkmaz steht zurzeit bei Çaykur Rizespor in der Türkei unter Vertrag, Pehlivan und Kayhan wechselten nach ihren Türkei-Engagements wieder zurück in die österreichische Bundesliga.
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