Van der Bellens Verantwortung
Was, wenn die FPÖ bei den nächsten Wahlen Erste wird? Soll der Bundespräsident dann Herbert Kickl mit der Regierungsbildung betrauen? Es wäre ein Dammbruch. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Alexander Pollak
Es ist nicht das erste Mal, dass die FPÖ bei Umfragen in Führung liegt. Bereits im Sommer 2014 lag sie voran. Ab Frühjahr 2015 setzte die Strache-Partei zum vermeintlichen Siegeszug an, mit einem Umfragen-Rekordwert von 35 Prozent im Juli 2016. Das Blatt wendete sich erst kurz vor der Wahl im Oktober 2017. Die FPÖ wurde Dritte und von Sebastian Kurz in die Regierung geholt. Das Ibiza-Video schleuderte die FPÖ wieder heraus.
Jetzt steht die FPÖ, im Sog von Pandemie, Teuerung und gestiegenen Asyl-antragszahlen, wieder an der Spitze der Umfragen. Das Rezept von Kickls Partei ist einfach: scharfe Oppositionspolitik, die insbesondere bei sozialen Fragen an Neid und Nationalismus appelliert. Unsicherheiten werden verstärkt, Sündenböcke gefunden, Menschen rassistisch aufgehetzt. Ein bekanntes Schema. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wurde mit der Frage konfrontiert, ob er Kickl mit der Regierungsbildung beauftragen würde, sollte die FPÖ Erste werden. Seine Antwort sorgte für Aufregung. Van der Bellen verwies auf sein Gewissen und gab deutlich zu verstehen, dass es in Hinblick auf Kickl keinen Automatismus beim Auftrag zur Regierungsbildung geben werde. Würde der Bundespräsident seine Aussagen in die Realität umsetzen, wäre das ein klarer Bruch mit bisherigen Gepflogenheiten. Es gab in der Zweiten Republik noch keinen Fall, bei dem der Obmann der stimmenstärksten Partei nicht den Auftrag zur Regierungsbildung erhielt. Es gab nur einen Fall, wo dieser Auftrag scheiterte und schlussendlich die drittstärkste Partei, die Schüssel-ÖVP, den Bundeskanzler stellte.
Es gab allerdings in der Zweiten Republik auch keinen Fall, bei dem ein aktiver Unterstützer der rechtsextremen Szene als Bundeskanzler zur Diskussion stand. Kickl ließ als Leiter des FPÖ-Bildungsinstituts der mit Neonazis und Holocaustleugnern sympathisierenden „Aula“ bezahlte Inserate zukommen. Jetzt unterstützt er mittels Inseraten ein Fanblatt der „Identitären“. Kickl hat die FPÖ radikalisiert, bis hin zu einer auf einer Pressekonferenz seines Generalsekretärs vorgetragenen Fusionierung mit der „Bevölkerungsaustausch“-Ideologie der „Identitären“.
Mit einem Auftrag zur Regierungsbildung an Kickl würde der Bundespräsident ein Signal aussenden, dass es verantwortbar wäre, einen Unterstützer der rechtsextremen Szene zum Bundeskanzler zu machen. Es wäre dann der unter Korruptionsverdacht stehenden ÖVP überlassen, ob sie so sehr nach dem Justizministerium giert, dass sie Kickl die parlamentarische Mehrheit für seine Kanzlerschaft verschafft. Mehr noch, mit einem Auftrag an Kickl würde Van der Bellen der ÖVP gleich eine argumentative Brücke bauen. Etwa: Nicht wir haben Kickl zum Kanzler gemacht, sondern der Bundespräsident hat ihn mit der Regierungsbildung beauftragt. Wir folgen nur der Notwendigkeit, eine Regierung zu bilden.
Was also soll Van der Bellen tun? Zuerst einmal hoffen, dass die anderen Parteien aus ihrer Lethargie erwachen. Wenn das nicht eintritt, sollte er transparent und gut begründet zuerst die nicht-rechtsextremen Mehrheitskräfte zur Findung einer Regierung auffordern.
Einfach schulterzuckend auszutesten, ob sich unsere Demokratie und unser Rechtsstaat gegen antidemokratische Bestrebungen eines Bundeskanzlers, die sich in Richtung völkische Gesellschaftsordnung und totalem Machtanspruch bewegen, erfolgreich wehren kann, ist nicht Aufgabe des Bundespräsidenten.
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